3. Kampf um höhere Löhne in der Druckindustrie
Nachdem schon in der Tarifrunde 1973 die Arbeiter der Druckindustrie durch Streiks für eine 13-prozentige Lohnerhöhung gegen den Willen der Gewerkschaftsführung auf sich aufmerksam gemacht hatten, ging es in der Tarifrunde 1976 richtig zur Sache.
Seit über 100 Jahren hatte sich in der Produktionsweise der Druckindustrie nichts geändert. In den 70er-Jahren und später wälzten neue Produktionsverfahren die gesamte Branche um. Der Absatz war nach der Krise 1966/67 zurückgegangen. Die drastischen Preiserhöhungen für Rohöl durch die OPEC-Staaten im Oktober 1973 führte zu einer weiteren wirtschaftlichen Rezession. Die Druckbranche wurde mit Hilfe der Elektronik durchrationalisiert. Die Devise hieß hier wie anderswo: Mehr Ausstoß mit weniger Aufwand. Ganze Berufssparten verschwanden:
Der herkömmliche Bleisatz, bei dem die Buchstaben noch per Hand oder per Maschine gesetzt wurden, wurde abgelöst durch den Fotosatz, wobei durch einen Lichtstrahl die Buchstaben auf Fotopapier projiziert werden. Setzer wurden somit entbehrlich. Mit dem immer stärkeren Einsatz von Computern und der Vergrößerung der Bildschirme konnten wenig später die Seiten am Bildschirm zusammengesetzt werden. Auch die Metteure, die diesen Seitenumbruch per Hand gestalteten, wurden überflüssig. Im Rotations-Hochdruck sorgten Kunststoff-Druckplatten für das fast vollständige Verschwinden des Stereotypeurs (Hersteller einer Buchdruckplatte durch Abguss mit einer Metalllegierung).
Die Anzahl der Beschäftigten reduzierte sich von 224.300 Im Jahr 1970 auf 193.900 im August 1975. (Zahlen differieren je nach Herangehensweise, siehe (Beschäftigungswandel in der Druckerei- und Vervielfältigungsindustrie vor dem Hintergrund technischer Änderungen – 1988_1_MittAB_Dostal.pdf).
Vordergründig ging es in der Tarifrunde 1976 um mehr Geld. Doch die Härte, mit der dieser Kampf auch um wenige Prozentpunkte geführt wurde, ist auf die Arbeitsplatzvernichtung zurückzuführen, aber auch auf die Haltung der Druckunternehmen und auf das Eingreifen des Staates.
Am 27. 4.1976 sprach sich in einer Urabstimmung eine Mehrheit von 88,2 % für Streik für eine Lohnerhöhung von 9 % aus. Am nächsten Tag ab 14 Uhr streikten 14.000 Kollegen in 85 Betrieben. Am gleichen Tag schon rief der Unternehmerverband zur bundesweiten Aussperrung auf.
In Westberlin z.B. wurde in 2 Betrieben gestreikt, ausgesperrt wurden die Beschäftigten in 37 Druckereien. Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Aussperrungsfront der Unternehmer war nicht einheitlich, sie bröckelte. Klein- und Großunternehmen haben halt sehr unterschiedliche Interessen. Und die Aussperrung rief statt Demoralisierung Solidarität und größere Kampfbereitschaft hervor. Viele Arbeiter aus Betrieben, die nicht ausgesperrt waren, wollten in den Streik einbezogen werden. Die Aussperrung wurde deshalb auch schon am 3.5.1976 wieder zurückgenommen. Daraufhin unterbrach die zentrale Streikleitung der IG Druck und Papier den Streik, ohne das von den Unternehmern ein neues Angebot vorlag. Die Druckarbeiter aber sahen in der Rücknahme der Aussperrung eine Kapitulation der Unternehmer und sahen sich in der stärkeren Position. Wütender Protest und Widerspruch schlug der zentralen Streikleitung entgegen. Die Kollegen missbilligten scharf die Unterbrechung und setzten sich für die Fortsetzung des Streiks ein. Dadurch wurden die Funktionäre unter Druck gesetzt. Sie konnten die Kollegen jetzt nicht so einfach mit einem niedrigen Ergebnis abspeisen. Die 6 musste vor dem Komma stehen. Nach dem Abbruch der Verhandlungen am 4.5. rief die Streikleitung für den 5. 5. zum Totalstreik auf. Der Aufruf wurde weitgehend befolgt. Es erschienen lediglich einige Regionalzeitungen.
Und jetzt mischte sich die Bundesregierung ein: Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs bezeichnete das Handeln der IG Druck und Papier als unverantwortlich. Genauso drückte sich auch Außenminister Hans-Dietrich Genscher aus. Regierungssprecher Klaus Bölling rückte den Streik in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit wegen Gefährdung der Pressefreiheit.
„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten… Aber wer nun anders denkt, hat er nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken?… Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, daß sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.“ schrieb Paul Sethe in einem Leserbrief an den Spiegel.“ (FREI IST, WER REICH IST – DER SPIEGEL 34/1966) siehe auch: (Oskar Lafontaine: Die rhetorischen Tricks eines Populisten – WELT)
Paul Sethe war bürgerlicher Journalist. Deshalb konnte er nicht erkennen, dass diese Meinung, die in den Medien verbreitet wird, nicht nur die Meinung von 200 reichen Leuten, sondern die Meinung der bürgerlichen Klasse im allgemeinen ist. Und die Bourgeoisie ist sehr empfindlich, wenn ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Meinung zu sagen.
Zumal es auch noch Beispiele gab, bei denen die Arbeiter so frech waren und das Setzen von einem die Streikenden verunglimpfenden Artikel ablehnten. Die hannoversche Ausgabe der BILD-Zeitung erschien mit einem weißen Flecken, weil die Chefredaktion so aller Welt kund tun wollte, dass die Setzer hier ein Sakrileg begangen und ihre Pressefreiheit behindert hätten. Auch die Frankfurter Neue Presse erschien mit einem weißen Fleck.
Bei der Mercator-Druckerei in Westberlin fanden drei brutale Polizeieinsätze statt, um die Auslieferung der von Streikbrechern erstellten Notausgaben durchzusetzen. Dabei wurden Tränengasgranaten eingesetzt. Die im Sitzstreik befindlichen Arbeiter wurden angefahren und brutal weggeschleppt. Und dann erfuhren sie durch das Nachrichtenfernsehen des ZDF, dass sie stadtbekannte Randalierer und Kommunisten seien. Solche und ähnliche Falschdarstellungen in Rundfunk und Fernsehen wurden den Zuschauern fast täglich vorgesetzt. In Kassel ging die Saat auf: Streikposten wurden von Passanten verprügelt.
Auch beim Reutlinger Generalanzeiger wurden die sitzenden Streikposten von der Polizei weggeschleift, erkennungsdienstlich behandelt und bis zum nächsten Morgen festgesetzt. Ebenso machten Streikposten bei Burda in Darmstadt unliebsame Bekanntschaft mit der knüppelnden Polizei.
Am 13.5.1976 einigte sich die Gewerkschaft mit dem Unternehmerverband auf eine 6-prozentige Anhebung des Facharbeiterecklohns ab dem 1. Juni und einer einmaligen Zahlung von 275 DM für die Monate April und Mai. Bei der Urabstimmung stimmten 55,8 % für das Verhandlungsergebnis, wobei in den Regionen Hamburg, Nordmark, Berlin, in denen hart gekämpft wurde, die Zustimmung nur zwischen 36 und 45 % lag. In Bayern, wo kaum gekämpft wurde, lag die Zustimmung bei 65 %.
Eine detaillierte Schilderung des Streikverlaufs gibt es hier: (arpo-4-1976.pdf).
1978 erstritten die Drucker einen Tarifvertrag zur Absicherung gegen die sozialen Risiken der neuen rechnergesteuerten Satzsysteme. Nur vier wichtige Zeitungsbetriebe wurden bestreikt. Die Unternehmer sperrten daraufhin bundesweit alle Zeitungsbetriebe drei Wochen lang aus.
Im großen Kampf um die 35-Stunden-Woche machten es 1984 die Arbeiter in der Druckindustrie ihren Kollegen in der Metallindustrie nach und erkämpften mit einem 13-wöchigen Streik die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 38,5 Stunden.