Fahrradtour elbaufwärts von Havelberg nach Buxtehude vom 26.08. – 31.08.2013
26.08.2013
Da kann sich die Deutsche Bahn eine Scheibe abschneiden. Der Zug der ODEG nach Glöwen hatte nur 5 min. Verspätung. Von dort ging es durch Wald gleich weiter in die hübsche Hansestadt Havelberg.
1170 wurde der imposante und interessante Dom fertiggestellt. Praktischerweise wurde gleich ein Chorherrenstift der Prämonstratenser mit angesiedelt.
Der Prämonstratenserorden wurde 1120 von Norbert (allerdings von Xanten) gegründet. Der war ein Wanderprediger, also ein Missionar. Einer von denen, die die Bevölkerung (in diesem Fall den slawischen Stamm der Brizanen) davon überzeugen sollten, auch die andere Wange hinzuhalten, wenn man sie auf die eine schlägt. Wie gut die Herrschenden diese Ordensleute gebrauchen konnten, zeigt sich an der Tatsache, dass 1154 König Friedrich I. (auch Barbarossa genannt) dem Prämonstratenserorden ein Privileg ausstellte, nach dem dieser von Zollabgaben im gesamten Reich befreit wurde.
In Havelberg trafen sich 1716 der russische Zar Peter der Große und der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und tauschten, wie es in diesen Kreisen üblich war, königliche Gastgeschenke aus: das legendäre Bernsteinzimmer gegen Soldaten, die sogenannten „Langen Kerls“.
In der Töpferei vor dem Dom gab es leckeren Mohn-Stachelbeerkuchen mit Schlagsahne. Die Besitzerin war sehr auskunftsfreudig, aber gekauft habe ich trotzdem nichts.
Am ersten Tag ist man ja immer etwas ungeduldig. Man will radeln. Also habe ich mich in Havelberg nur kurz umgeschaut und bin gleich weiter in Richtung Wittenberge, meistens auf dem Deich. Ich focht mit 4 Radfahrern einen Privatwettstreit aus. Mal überholte ich sie, mal überholten sie mich. Zuletzt gab es Gegenwind, der mich ganz schön geschafft hat. Der Mohn-Stachelbeerkuchen war auf Dauer etwas wenig. Aber es gab unterwegs kein Restaurant. Als ich um 16 Uhr endlich eins gefunden hatte, machte ich mich voller Heißhunger über Spiegeleier mit Bratkartoffeln her. Es hat mir schon lange kein Mittagessen so gut geschmeckt. Der Dampf war aber raus, so dass ich gemächlich nach Wittenberge weiter radelte. Gegen 18.30 Uhr war Wittenberges Altstadt eine Geisterstadt. Bei der Alten Ölmühle sprach ich eine junge Frau an, ob sie nicht eine Pension kennt. Kannte sie. Gleich um die Ecke. Nette Wirtin. Für 30 € bekam ich ein Zimmer zur Straße hin. Die Wirtin versprach mir hoch und heilig, dass nachts keine Autos fahren. In der Ölmühle gab es Zander, vorzüglich. Es dauerte aber eine Stunde, bevor der angeschwommen kam. Das Industriedenkmal, in dem früher Öl hergestellt wurde, beherbergt heute ein Hotel, ein Restaurant mit Schaubrauerei und im Sommer eine Strandbar mit Beachvolleyballplatz. Nachts kamen zwar wenig Autos, dafür aber die Bahn.
27.08.2013
Das Frühstück war sehr reichhaltig. 2 Pärchen saßen noch am Frühstückstisch. Lehrer. 2 hochdeutsch sprechende Magdeburger und 2 Sachsen. Danach wieder rauf auf den Damm. Immer wieder tat sich ein schöner Blick auf das Elbtal auf. Bei Lütkewisch machte ich mit der Fähre nach Schnackenburg rüber. Ich dachte mir in meinem Sinn, dass es dort eine Burg geben müsste, wenn der Ort schon so heißt. Gab es aber nicht, bzw. ich habe keine gefunden. Dafür gab es im Café Felicitas schlechten Kaffee und annehmbaren Himbeerkuchen. Danach linkselbisch weiter bis Pevestorf und dort mit der Fähre zurück ans andere Ufer. Vor Lenzen wurden gerade die Eichenprozessionsspinner bekämpft. Die Brennhaare der Raupen lösen durch das Nesselgift Thaumetopoein unerträglich juckende Hautexzeme aus und können auch für Augen und Atemwege gefährlich werden.
Die Burg Lenzen ist vom BUND okkupiert. Ich fand sie aber nicht so schön. Die Festung Dönitz habe ich mir geschenkt, so dass ich an diesem Tag 84 km bis Hitzacker geschafft habe. Der hübsche Ort Hitzacker wurde vom Hochwasser im Juni des Jahres gerade noch so verschont. Eine Schutzwand in Höhe von 8,96 m hielt das Wasser fern. Gegen den Hunger gab es abends Lachs-Spinat-Pizza und Pannacotta.
Ein Zimmer fand ich mit Etagenklo und -dusche für 28 €. Also hieß es warten, bis die anderen Drei geduscht hatten.
28.08.2013
Frühmorgens weckte mich die Kirchturmuhr. Der Wirt hatte 3 Jahre gegen das Schlagen der Kirchturmuhr prozessiert. Vorher hatte diese Nervensäge jede Viertelstunde geschlagen und um 0 Uhr sogar richtig geläutet. Der Pastor hatte aber kein Einsehen, bis ein neuer kam. Und jetzt ist ab 22 Uhr Ruhe bis 7 Uhr morgens. Der Wirt war aber zwischenzeitlich mit seiner ganzen Familie aus der Kirche ausgetreten. Das war zwar lobenswert, aber eigentlich kein Grund, das Frühstück so schlecht zu machen.
Es herrschte dichter Nebel. Ich wollte eigentlich mit der Fähre ein Stück des Weges bewältigen, weil westelbisch in Richtung Norden waren harte Steigungen angesagt und es sollten Bäume auf dem Weg liegen. Um aber auf die andere Seite zu kommen, hätte ich 22 km zur nächsten Brücke zurückfahren müssen. Bei dem Nebel fuhr die Fähre aber nicht, weil sie kein Radar an Bord hatte. Als ich so auf meine Karte schaute und hin und her überlegte, kam ein traurig hängender Schnauzbart mit tiefen verlebten Augenhöhlen auf mich zu und riet mir abzuwarten und dabei einen Kaffee bei REWE zu trinken. Und diesen Rat nahm ich mir zu Herzen. Zum Kaffee kam noch eine Rosinenschnecke dazu. Als ich mich danach wieder aufs Fahrrad schwang, hatte sich der Nebel gelichtet und die Fähre fuhr wieder. Zwischendurch traf ich immer wieder 2 Männer aus Jülich, die den Eindruck erwecken wollten, als ob sie Alkoholiker seien. Sie suchten dauernd nach einer Tränke und fragten mich, ob ich Korn in meiner Wasserflasche hätte. Ich hatte aber nur schwere Beine, auch ohne Alkohol. Die 84 km vom Vortag waren etwas zu viel für mich. Deshalb machte ich nach 49 km auch Schluss in Bleckede. Dazwischen lag noch das einzige vollständig erhaltene Marschhufendorf Konau. Im ausgehenden Mittelalter entsprach 1 Hufe Land einer Fläche von 7-10 ha. In der Marsch waren die aneinander gereihten Hufe wegen der Kosten der Deicherhaltung schmal und lang mit Hofanschluss. Die Gehöfte liegen parallel nebeneinander mit dem Wohngiebel zum Deich und mit dem Wirtschaftsteil zur Hofkoppel und zur Feldmark.
Die Jülicher erzählten auch vom Braunkohletagebau, dem ganze Dörfer in ihrer Region zum Opfer fallen und klärten mich auf, warum der Reiher so heißt: Weil er beim Füttern der Jungen reihert.
Es war noch früher Nachmittag und die Zimmersuche gestaltete sich etwas schwierig. Zu guter Letzt fand ich ganz am Rande der Stadt beim Ehepaar Strathusen eine Ferienwohnung, in einem schönen Garten gelegen.
Nach der Dusche besuchte ich das Schloss Bleckede mit einer Biosphären-Ausstellung und einem lebenden Biber. Weil aber alle Bäume eingezäunt und der Biber auch sonst kein großes Terrain zur Verfügung hatte (man konnte ihn sogar in seinem Bau beobachten), fragte ich die hübsche, aber nicht sehr helle Kassiererin, wovon der Biber lebt, wenn er täglich 200 m Zweige braucht. Konnte sie nicht beantworten. Er wird wohl gefüttert.
Abends unterhielt ich mich noch längere Zeit mit dem älteren Ehepaar. Er fand die landwirtschaftliche Industrialisierung gut, auch die Massentierhaltung auf kleinstem Raum, da sonst die Menschen nicht zu ernähren wären. Industrielle Landwirtschaft ist ja schön und gut. Es kommt aber immer auf die Bedingungen an. Unter kapitalistischen Vorzeichen bedeutet die industrielle Landwirtschaft: Ausbeutung des Landarbeiters, Raubbau am Boden und seine Vergiftung, und Degradierung der Tiere zum reinen Objekt als Konsumartikel.
29.08.2013
Das Frühstück bei Strathusens war gut. Vorbei an Wiesen und Feldern mit Mais und Maggikraut ging es zum Schiffshebewerk Scharnebeck. Mächtig, gewaltig. 2 riesige Wassertröge, die je 5.800 Tonnen wiegen, heben bzw. senken jährlich über 21.000 Schiffe mit einem Höhenunterschied von 38 Metern auf dem Elbe Seitenkanal. Als Gegengewicht dienen 224 Betonscheiben mit einem Gewicht von je 26,5 Tonnen. Am Kanal ging es weiter nach Lauenburg. Es war wieder ein warmer Tag. Das Schwimmbad auf dem Weg war genau das Richtige für meine von den 84 km angestrengten Muskeln. Danach ging es wieder viel besser durch den Wald bergauf, bergab auf naturbelassenen Wegen nach Geesthacht. Hier musste ich zum ersten Mal das Tourist-Info in Anspruch nehmen. Pensionen und Privatunterkünfte sind in Geesthacht dünn gesät. Die hübsche, freundliche und hilfsbereite Frau Knoop vom Tourist-Info konnte mir aber noch ein Appartement für 28 € ohne Frühstück vermitteln. Abends gab es dann eine Riesenportion frische Pfifferlinge für 10,90 €. Sehr lecker. 65 km habe ich an diesem Tag geschafft. Es wurde eine unruhige Nacht. Das Fenster ging direkt auf die Straße. Es fuhren zwar nicht viele Autos, aber jedes Auto bekam man hautnah mit. Gedanken für meine Ausführungen über den Faschismus gingen mir durch den Kopf, die gleich aufgeschrieben werden mussten.
30.08.2013
Nach dem Frühstück beim Bäcker wollte ich mir beim Hautarzt ein Medikament gegen Rosacea verschreiben lassen. Wollte der aber nicht, ohne mich vorher anzuschauen. Soviel Zeit hatte ich ja nun wirklich nicht. Aufgrund des Tipps der Strathusens in Bleckede bin ich nach Bergedorf zum S-Bahnhof gefahren, damit ich nicht die lange, langweilige Strecke durchs Industriegebiet fahren muss. Nach dem obligatorischen Cappuccino mit Apfelkuchen fragte ich eine Verkäuferin, wo ich in Hamburg am besten aussteigen sollte, um wieder schnell an die Elbe zu kommen. Wusste sie aber nicht. Na gut, dachte ich mir, kann ja mal passieren. Dieselbe Frage habe ich zwei Frauen am S-Bahnhof gestellt. „Nee, wir sind und bleiben Bergedorfer! Wir fahren da nicht hin!“ kam die etwas verblüffende Antwort. Wenn Leute noch nicht einmal aus einem Vorort in die City von Hamburg fahren wollen, darf man sich nicht wundern, wenn sie über ihre eigene Nasenspitze nicht hinaus gucken können.
Ich durfte mein Fahrrad mit Gepäck die Treppe hoch schleppen, weil der Aufzug kaputt war. Instinktiv bin ich Dammtor ausgestiegen. Hier gab es gar keinen Aufzug. Wieder durfte ich das Fahrrad mit Gepäck schleppen. In dieser Hinsicht waren ja die Hamburger Verkehrsbetriebe völlig hinter dem Mond.
Dann habe ich mich durch Planten un Blomen, am Jungfernstieg, dem Rathaus, den Landungsbrücken und der Hafenstraße vorbei treiben lassen. In Blankenese setzte ich mit der Fähre nach Neuenfelde über. Cranz war wegen Niedrigwasser nicht anfahrbar. In Jork gab es angeblich des Apfelerntefestes wegen keine Unterkunft und so schickte mich das Tourist-Info 8 km weiter ins Hotel Eiche in Buxtehude-Hedendorf für 55 € pro Nacht. Das Hotel sollte wohl besser ausgelastet werden. Die Bedienung war dafür sehr pfiffig mit plattdeutscher Schnauze. Das Hotel lag für meine Zwecke ideal: 4 km von Buxtehude entfernt an der Straße nach Stade. Und da wollte ich noch hin. Abends gab es im Hotel ein gutes vegetarisches Gericht mit Bandnudeln und danach Pannacotta mit Blaubeeren. Es war hervorragend und ich genudelt voll.
Ein paar Tropfen Regen fielen.
31.08.2013
Morgens war es dicht bewölkt. Eine Wetterverschlechterung kündigte sich an. Die eigene Stimmung passte sich dem Wetter an und ich beschloss, nach Buxtehude und von dort direkt nach Berlin zu fahren. Im Wald fand ich einen kleinen Soldatenfriedhof: „Den Deutschen, die im Osten starben, zum Gedächtnis“. Erst hat man sie in den Tod geschickt und dann bekommen sie ein kleines Täfelchen. Das hat meine Stimmung endgültig in den Keller getrieben. Schon in Hamburg stand ein Denkmal am Jungfernstieg für die gefallenen Soldaten im ersten imperialistischen Weltkrieg: „Vierzigtausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch“. Welche Volksverdummung! Sie starben nicht für die Hamburger und auch nicht für die anderen Bewohner Deutschlands, sondern für die Pfründe des Kaisers und seiner Hofschranzen und für die Gewinne der Kohle- und Stahlbarone und der chemischen Industrie. Das Geld für solche Denkmale sollte besser den Angehörigen der Gefallenen zugute kommen.
Bei einer kleinen Rundfahrt durch Buxtehude fand ich die Stadt nicht sehr bemerkenswert. Für eine Calvados-Apfel-Torte stand ich beim Bäcker angeblich in der falschen Schlange. Die Verkäuferin verlangte doch tatsächlich von mir, dass ich mich in eine andere Reihe stellen sollte, weil sie nur Brot verkaufen würde. Und das nicht in einer Behörde, sondern beim Bäcker! In der anderen Reihe stand aber nur ein Pärchen, das noch unentschlossen war. Und so musste sie mir dann wohl oder übel doch die Torte verkaufen. Die Torte war lecker, aber die engstirnige Beschränktheit war niederschmetternd und verschlechterte meine Laune noch mehr.
Zu diesem Zeitpunkt fing eine Anti-AKW-Kundgebung an. Der Sprecher bedankte sich, dass auch einige Politiker gekommen wären, die so zeigen würden, dass sie auch gegen Atomkraft seien. Ja, Himmel, Herrgott, Arsch und Zwirn! Das ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Dafür stecken sie eine Menge Kohle ein. Die haben unsere Interessen zu vertreten. Da muss man sich nicht für bedanken.
Mit der S-Bahn fuhr ich dann von Buxtehude zum Hamburger Hauptbahnhof. Der Verkehrsverbund ist größer als in Berlin. Eine Fahrt kostete 2,95 € (2013). Fahrradmitnahme war sogar kostenfrei. Es gab aber keinen Stellplatz für Fahrräder. Nur die Türnischen. Wenn man auf der falschen Seite steht, muss man bei jedem Halt das Fahrrad zur Seite stellen, damit die Leute ein- und aussteigen können. Aber keiner von den vielen Fischköppen im Abteil hat mir einen Tipp gegeben, welche Seite normalerweise die Bahnsteigseite ist.
Da man im ICE kein Fahrrad mitnehmen kann, bin ich mit der Regionalbahn nach Schwerin und von dort nach Berlin gefahren. Auf der Strecke nach Schwerin habe ich es gewagt, aufs Klo zu gehen. Und schwupps war mein Platz besetzt. Es waren genügend Leute im Abteil, die gesehen hatten, das ich direkt neben meinem Fahrrad gesessen habe, aber keiner hat das Maul aufgekriegt. Es scheint schon ziemlich schwierig zu sein, soziale Kommunikation zu betreiben, besonders in Hamburg und Umgebung.
Der einzige Lichtblick war ein Mann vom Service-Center der Bahn in Hamburg. Der ist zu einer Kollegin am Schalter gegangen, ohne dass ich mir die obligatorische Nummer ziehen musste, und hat meinen Reiseplan ausdrucken lassen.