Karneval in Salvador da Bahia (Brasilien) 1994
Carnaval do paz, alegria y belleza – Karneval des Friedens, der Freude und Schönheit. Karneval in Salvador da Bahia.
Hunderttausende von Menschen, singend und tanzend auf den Straßen. Diesen Anblick erlebt man nicht alle Tage. Es kann zuweilen auch beängstigend sein, wenn die Menschenmassen immer dichter werden und es kein Vor oder Zurück mehr gibt. Und trotzdem tanzen viele Jugendliche mit wilder, rücksichtsloser Ausgelassenheit durch die Menge und wirbeln alles durcheinander.
Das Bier fließt in Strömen. Bei dieser Hitze braucht der Körper viel Flüssigkeit. Die Bands auf den riesigen Lautsprecherwagen heizen mit ihrem ohrenbetäubenden und zwerchfellerschütternden Trommeln die Stimmung an. Die Musik fährt sofort in die Beine. Es ist ein fünf Tage dauernder Rausch, der die Brasileiros ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme vergessen lässt.
Der Karneval in in Salvador ist kein Vorzeigekarneval wie in Rio, wo er durch viel Glitter, Glitzer und berauschende Kostüme geprägt ist. Salvador, das ist Straßenkarneval pur für jedermann, das ist reine Lebensfreude. Auch die Musik ist anders in Salvador. Der große Hit in diesem Jahr war: „Requebra, Brasil“ von der Gruppe Olodum.
Bemerkenswert ist, dass sich viele Männer in Frauenkleidern unheimlich wohlfühlen und eine große Show abziehen. Kontakt zu diesem lebenslustigen Völkchen zu finden ist nicht schwer. Nur kann man sich am Anfang nicht sicher sein, ob das Lächeln deiner Person gilt oder dem Geld, was du mitbringst.
Aber wenn du in einer Clique drin bist, dann wirst du auch beschützt. Bei sich eventuell anbahnenden brenzligen Situationen rissen mir die Brasileiros, die ich dort kennengelernt hatte, die Kamera aus der Hand und versteckten sie hinter dem Ladentisch oder bildeten eine Kette vor mir. Ungefährlich ist es natürlich nicht. Immer wieder marschieren Ladrons der Polizei durch die Menge. Ihnen wird respektvoll Platz gemacht. So manches Mal nahmen sie auch jemanden in die Mitte und führten ihn ab. Fein sind die Jungens dabei nicht mit ihren ellenlangen Knüppeln.
Dabei passiert so manches nur aufgrund der Heißblütigkeit der Brasileiros. Da gerät das Blut schnell in Wallung und es fliegen Bierflaschen durch die Gegend, die dann völlig Unbeteiligte treffen.
Es gibt natürlich auch eine Menge Taschendiebe. Immer wieder fühlt man eine Hand in der Hosentasche oder einen Finger unter dem Uhrenarmband mit dem Versuch, die Uhr vom Arm zu reißen. Einmal umringte mich eine ganze Gruppe von Jugendlichen. Doch eine drohende Bewegung mit der Faust schreckte sie ab. Richtig mulmig wird es einem aber dann, wenn man in der Zeitung liest, dass Spezialeinheiten der Polizei, ausgerüstet mit Metalldetektoren, 32 Revolver und 13 Messer (armas brancas) sichergestellt haben.
Der Karneval kündigt sich schon Tage vorher an. In der Innenstadt wird gehämmert und gezimmert, dass es eine wahre Lust ist. Buden und Stände werden aus allem möglichen Material zusammengebastelt, Geschäfte und Schaufenster werden verrammelt. Das öffentliche Leben ist während der Karnevalszeit lahm gelegt. Banken, Postämter, Reisebüros und auch das Tourismusbüro sind geschlossen.
Überall türmen sich Berge von Getränken, die einfach in der Sonne rumstehen. Vor dem Verkauf werden sie auf Eis gelegt, das in großen Blöcken angeliefert wird.
Und wenn die Sonne untergeht über Salvador, der Stadt, die genausoviel Kirchen wie Tage im Jahr hat, und sich viele eine Ruhepause gönnen, tauchen andere Gestalten auf aus dem Dunkel der Nacht: grazile Schöne, Schlafmützen vom Dienst … diejenigen, die tagsüber geschlafen haben und die Nacht zum Tag machen wollen.
Als ich am Morgen des Aschermittwoch um 7 Uhr aufwache, dringt die Musik immer noch durch mein Fenster hinein. Ich mache mich auf die Socken und siehe da, zwischen dem schnell zusammengefegten Müll tanzen noch dieselben Leute, von denen ich mich nachts um 1 Uhr verabschiedet habe.