Der Aufbau des Sozialismus in Sowjetrussland/Sowjetunion – der größte Fake der Weltgeschichte

Im Jahre 1917 hing die Revolution in Russland in der Luft wie eine reife Frucht am Baum. Man brauchte sie nur zu pflücken. Die Mehrheit der Menschen wollte nicht mehr so weiter leben wie bisher. Die Städter wollten Brot, die Bauern wollten Land und alle zusammen forderten die Beendigung des Krieges mit dem deutschen Kaiserreich. Weil er die Wünsche und Forderungen der Menschen nicht erfüllte, wurde Zar Nikolaus II im Februar 1917 davongejagt. Die Zarendynastie der Romanows hatte Russland lange genug ausgeblutet.

Es wurde eine bürgerliche Provisorische Regierung gebildet, die die Forderung der Massen aber genauso wenig erfüllte wie der Zar. An der Front wurde weiter gestorben. Tausende Soldaten desertierten, die Armee begann, sich aufzulösen. Der Hunger wurde nicht gestillt. Nur die Bauern begannen, sich des Großgrundbesitzes zu bemächtigen und unter sich aufzuteilen.

Arbeiter- als auch Bauernparteien, die sich an der Provisorischen Kerenski-Regierung beteiligten, wie z.B. die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands, Menschewiki (Minderheit) oder die Sozialrevolutionäre hatten in den Augen der Massen abgewirtschaftet. Dafür wuchs der Einfluss der Bolschewiki unaufhaltsam. Sie waren es, die sich an die Spitze der revolutionären Bewegung setzten und die Kerenski-Regierung davon jagten (der legendäre Sturm auf den Winterpalais).

Auch das Timing stimmte. Am Abend der Vertreibung der Kerenski-Regierung wurde der II. Allrussische Sowjetkongress eröffnet. Dieser Kongress wählte den Rat der Volkskommissare mit Wladimir Iljitsch Uljanow, bekannt als Lenin, an der Spitze als neue Regierung. Der Kongress verabschiedete auch 2 Dekrete:

Dekret über den Grund und Boden (Volltext Dekret des 2. Allrußländischen Sowjetkongesses über den Grund und Boden, 26. Oktober (8. November) 1917 / Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München) und das

Dekret über den Frieden (PDF Dekret über den Frieden, 26.Oktober (8. November) 1917 / Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München).

Manche reife Früchte sind aber zuweilen madig. Und diese beiden Dekrete waren es. Sie bedeuteten den Anfang vom Ende der sozialistischen Revolution:

1. Mit dem Dekret über Grund und Boden wurden die Großgrundbesitzer enteignet und die Verteilung des Bodens in die Hände der Bodenkomitees bzw. der Ortssowjets gelegt. Das war ein Zugeständnis an die tatsächliche Bewegung der Bauern. Millionen von Bauern bekamen durch das Dekret kleine Parzellen und wurden zu Kleinkapitalisten und damit zu Feinden des sozialistischen Aufbaus, weil sie jetzt ihren Grund und Boden mit Klauen und Zähnen verteidigen würden. Dieses Dekret war kein Dokument einer kommunistischen Politik, sondern nur eine Anpassung an die schon bestehenden und sich in diese Richtung weiter entwickelnden Verhältnisse. Ohne dieses Zugeständnis hätten sich die Bolschewiki nicht an der Macht halten können. Die russische Bevölkerung bestand damals zu mindestens 85 % aus Bauern und Landarbeitern. Und dieses politische Lavieren der Bolschewiki gegenüber den Bauern mit dem Ziel der Erhaltung der eigenen Macht zog sich durch die gesamte folgende Politik.

Nach der Oktoberrevolution zettelten alle reaktionären Kräfte, die durch die Revolution um Besitz und arbeitsloses Einkommen gekommen waren, einen mehrjährigen blutigen Bürgerkrieg an. Dieser Bürgerkrieg wurde von ausländischen kapitalistischen Staaten unterstützt, auch von denen, die vorher Verbündete von Russland im Kampf gegen das imperialistische kaiserliche Deutschland waren, z.B. Frankreich und Großbritannien.

An der Front und in den Städten herrschte Hunger. Die zu Kleinkapitalisten gewordenen Bauern hielten Getreide zurück, um sie zu Wucherpreisen zu verkaufen. Also wurde Ablieferungspflicht des Getreides festgesetzt. Dabei gingen die Kommandos, die das Getreide eintrieben, zuweilen von falschen Zahlen aus. So mussten Bauern soviel abliefern, dass ihnen selbst nichts mehr zum Leben übrig blieb. Die Bauern reagierten oft mit einer Verkleinerung ihrer Anbauflächen, da ihnen kein ökonomischer Anreiz mehr gegeben war, Überschüsse zu produzieren. Dies machte die befohlenen Ablieferungsmengen noch utopischer. Was die Bauern auch in Aufruhr versetzte, war die Tatsache, dass das beschlagnahmte Korn bis zum nächsten Bahnhof gekarrt wurde und dort unter freiem Himmel verdarb. Außerdem kam es vor, dass diese Kommandos genauso wie die gegenrevolutionären Weißen Garden plünderten. Das requirierte Getreide wurde größtenteils mit Kredit oder Papiergeld bezahlt, wie Lenin in dem Beitrag Über die Naturalsteuer schrieb (LW32.pdf S. 355). Die Bauern konnten sich für das Geld aber keine industriellen oder handwerklichen Güter kaufen, weil die Produktion am Boden lag.

Die Periode des Bürgerkriegs inklusive der von den Bolschewiki ergriffenen Maßnahmen wurde von Lenin und Trotzki Kriegskommunismus genannt.

Trotzki beschrieb diese Zeit in seiner Schrift Verratene Revolution Kap. II folgendermaßen: „Die Wirklichkeit jedoch geriet immer mehr in Konflikt mit dem Programm des „Kriegskommunismus“: Die Produktion ging ständig zurück, und zwar nicht nur infolge der verheerenden Wirkungen des Krieges, sondern auch, weil der Anreiz des persönlichen Interesses bei den Produzenten erloschen war. Die Stadt verlangte vom Dorf Korn und Rohprodukte, ohne dafür etwas anderes zu geben als bunte Papierlappen, die aus alter Gewohnheit Geld genannt wurden. Der Muschik vergrub seine Vorräte. Die Regierung sandte bewaffnete Arbeiterabteilungen nach Korn aus. Der Muschik säte weniger an. Die Industrieproduktion des Jahres 1921, unmittelbar nach Beendigung des Bürgerkriegs, betrug bestenfalls ein Fünftel der Vorkriegsproduktion. Die Stahlerzeugung war von 4,2 Millionen Tonnen gesunken auf 183.000 Tonnen, d.h. auf ein Dreiundzwanzigstel. Die gesamte Getreideernte von 801 Millionen Zentner auf 503 Millionen im Jahre 1922: das war das Jahr der furchtbaren Hungersnot! Gleichzeitig rutschte der Außenhandel von 2,9 Milliarden Rubel herab auf 30 Millionen. Der Verfall der Produktivkräfte stellte alles in den Schatten, was die Geschichte diesbezüglich früher aufzuweisen hatte. Das Land und mit ihm die Macht standen am Rande des Abgrunds.“ (Leo Trotzki: Verratene Revolution (Kap.2)

Der Unmut und Hass bei den Bauern führte zu mehreren Bauernaufständen. Der Aufstand im Gebiet Tambow im August 1920 war wohl der größte. Die Bauern verweigerten die Ablieferung ihres Getreides und töteten mehrere Mitglieder des Beschaffungskommandos. In der Folgezeit stellten sie eine regelrechte Armee auf, die große Teile der Region unter ihre Kontrolle bringen konnten. Der Aufstand wurde von der Roten Armee blutig niedergeschlagen. Schätzungen zufolge wurden 100.000 Menschen inhaftiert und rund 15.000 erschossen. Diese Zahlen zeigen die riesigen Ausmaße des Aufstandes.

Unter dem Eindruck dieses Aufstandes und der katastrophalen wirtschaftlichen Lage veränderten die Bolschewiki ihre Politik. Lenin rief die Neue Ökonomische Politik (NÖP) aus.

Es wurde eine Naturalsteuer für die Bauern eingeführt. Die für die Armee und die Stadtbevölkerung erforderliche Mindestmenge an Getreide wurde als Steuer genommen und der Rest gegen Industrieerzeugnisse getauscht.

NÖP bedeutete aber auch, dass der freie Handel wieder eingeführt wurde, wieder Gewinne gemacht und bürgerliches Eigentum (an Produktionsmitteln) gebildet werden konnte, Kapitalisten ihre Unternehmen wieder bekamen und Konzessionen an ausländisches Kapital vergeben wurde.

Die NÖP wurde eingeführt unter Hinweis auf den Aufbau eines Staatskapitalismus, der als notwendiges Zwischenstadium zum Sozialismus angesehen wurde. Unzweifelhaft ist es so, dass der Kapitalismus die materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus schafft, dass die sozialistische Wirtschaft nur auf einer Konzentration modernster Technik und Produktionsmethoden und einer Produktion auf hoher Stufenleiter aufgebaut werden kann. Aber hier wurde aus der Not geboren zwischen Kommandoregime und bürgerlicher Freiheit herumlaviert und das Ganze als kommunistische Politik hingestellt.

Daran anschließend wurde 1921 eine Parteireinigung durchgeführt, in der u.a. auch die Mitglieder ausgeschlossen wurden, die die Wiedereinführung des Kapitalismus nicht als das Ergebnis ihres Kampfes sahen und die NÖP nicht akzeptierten. 170.000 Personen, etwa 25 % der Gesamtmitgliedschaft wurden aus der Partei ausgeschlossen.

2. Im Dekret über den Frieden klingt schon das Steckenpferd der Bolschewiki an, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Damit wollten Lenin und Trotzki die Randstaaten von Russland, wie Polen, die Ukraine, Finnland und die baltischen Staaten an die Revolution binden. Nur trat das Gegenteil ein, „eine nach der anderen dieser Nationen benutzte die frisch geschenkte Freiheit dazu, sich als Todfeindin der russischen Revolution gegen sie mit dem deutschen Imperialismus zu verbünden und unter seinem Schutze die Fahne der Konterrevolution nach Russland zu tragen.“ (Rosa Luxemburg: Die russische Revolution). Das Selbstbestimmungsrecht bis zur staatlichen Lostrennung war das Trojanische Pferd in diesen Randländern, die vorher zu Hochburgen der Revolution zählten.  Die Nation ist das ideologische Vehikel, mit der das aufstrebende Bürgertum die feudalistischen Verhältnisse bekämpfte und überwand. Mit der Parole von der einheitlichen Nation wollte sie alle in einem Land lebenden Menschen hinter sich und ihre Interessen bringen. Eine Nation ist aber kein einheitliches Gebilde. Sie teilt sich auf in unterschiedliche Klassen mit völlig entgegengesetzten (antagonistischen) Zielen und Interessen. Z.B. will die arbeitende Klasse die Ausbeutung abschaffen, und das nicht nur national, sondern auf der ganzen Welt. Das Bürgertum will die Ausbeutung natürlich beibehalten, weil sie davon lebt. Die nationale Unabhängigkeit ist also ein Freibrief für das nationale Bürgertum, in ihrem Land zu tun und zu lassen, was ihr beliebt. Und so kam, was kommen musste: Mit Hilfe der nationalen Ideologie und den deutschen Bajonetten zerschlug die einheimische Bourgeoisie die Revolution in den Randländern Russlands.

Die Ukraine z.B. erklärte sich am 14.11.1917 für unabhängig und erlangte am 22. 1.1918 die volle staatliche Unabhängigkeit. Die neue bürgerliche Regierung, die Zentralna Rada hatte nichts Besseres zu tun, als den konterrevolutionären Kosaken Alexei Kaledin in seinem Feldzug gegen Sowjetrussland zu unterstützen, die gemeinsame Front gegen Deutschland zu desorganisieren und sowjetische Truppen zu entwaffnen.

Polen rief am 7.10.1918 einen unabhängigen Staat aus. Anfang 1920 standen ca. eine halbe Million Soldaten unter der polnischen Fahne, um in Sowjetrussland einzufallen. Sie besetzten Kiew im Süden und Vilnius im Norden. Die Besetzung von Kiew dauerte aber nur einen Monat. Dann wurden sie von der Roten Armee aus Kiew verdrängt, aber nicht ohne die Kanalisation, das Kraftwerk und mehrere Bahnstationen zu zerstören. Die Rote Armee stoppte aber nicht an der Grenze, sondern rückte weiter auf Warschau vor. Dort wurden sie durch Fehler in der sowjetischen militärischen Führung zurückgeschlagen und weit nach Sowjetrussland zurückgedrängt. Für die Fehler trug in erster Linie Stalin die Verantwortung.

Die sowjetische Führung hatte also sehr bald eingesehen, dass die Unabhängigkeit der Randstaaten sich gegen Sowjetrussland selbst richtete und änderte ihre Politik. Sie wollte diese Staaten wieder unter ihre Kontrolle bringen, aber es war zu spät. So griffen sowjetische Truppen im November 1918 das estnische Narva an, nachdem es im August 1918 in einem Zusatz zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk auf Estland verzichtet hatte. Die Truppen wurden aber bis Ende Januar 1919 aus dem Land vertrieben. Danach fanden noch weitere missglückte Eroberungsversuche in Estland als auch in Litauen statt.

Die Politik gegenüber dem Bürgertum anderer Nationen war prinzipienlos. Unter dem Mantel des Selbstbestimmungsrechts der Nationen wurde das Bürgertum in vom Imperialismus unterdrückten Nationen unterstützt. Das hatte verheerende Folgen für die Kommunisten und andere Revolutionäre in diesen Ländern.

Diese Politik war verantwortlich für die Ermordung der Kommunisten durch Tschiang Kai Shek in China und durch Atatürk in der Türkei.

Der Kommunist (Mitglied der KAPD) Paul Mattick schreibt dazu folgendes:

Die „befreite“ Türkei schlachtet, mit den ihr von Russland gelieferten Waffen, die Kommunisten ab. Das in seinem nationalen Freiheitskampf von Russland und der Dritten Internationale unterstützte China würgt seine Arbeiterbewegung nach dem Muster der Pariser Kommune ab. Abertausende von Arbeiterleichen bestätigen Rosa Luxemburgs Auffassung, dass die Phrase vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen nichts als „kleinbürgerlicher Humbug“ ist. (Paul Mattick: Die Gegensätze zwischen Luxemburg und Lenin (September 1935)

Was war in diesen Ländern passiert?

In der Türkei erbat und erhielt Mustafa Kemal Atatürk von Sowjetrussland großzügige militärische und diplomatische Hilfe im Befreiungskrieg gegen die von den Entente-Mächten unterstützte griechische Invasion.

Doch Anfang 1921 ließ die türkische Regierung unter der Leitung von Atatürk die gesamte Führung der gerade gegründeten Kommunistischen Partei der Türkei umbringen. Mit zunehmenden militärischen Erfolgen im Befreiungskrieg ermordete sie Sozialisten, Linke und radikale Bauernführer, nach Gründung der Republik ging sie gegen Streiks vor, versuchte, die Bildung von Gewerkschaften zu verhindern und verbot den Kurden den Gebrauch ihrer eigenen Sprache.

In China halfen sowjetische Berater, die Kuomintang als Einheitspartei zu formen, die gegen die japanischen Eroberer und die chinesischen Warlords kämpfte. Die chinesischen Kommunisten wurden aufgefordert, der Kuomintang beizutreten.

Im Februar 1926 organisierte die Kommunistische Partei Chinas in Shanghai einen Generalstreik der Arbeiter gegen die ausländischen Mächte und die Generalität. Die ausländischen Mächte, die den Führer der Kuomintang Chiang Kai Shek unterstützten, erwarteten, dass er diesen Streik niederschlagen würde, was er aber aus Prestigegründen nicht selbst tun wollte, so dass er mit seinen Truppen betont langsam auf Shanghai vorrückte und erst am 21. März 1927 vor der Stadt anlangte. Chiang öffnete seine Waffenlager für die Angehörigen der Triaden (Opium-Mafia) und in den nächsten Tagen füllte sich die Stadt mit den schwerbewaffneten Gangstern. Am 12. April 1927 begannen sie ein Massaker an allen Kommunisten und vielen Arbeitern und löschten in den folgenden Wochen und Monaten die dort sehr starke kommunistische Organisation und Basis praktisch aus.

Einige Jahre später zwangen die KPdSU und die von ihr gegründete Kommunistische Internationale die Revolutionäre in Spanien, Volksfrontregierungen mit dem Bürgertum einzugehen und sich der Bourgeoisie unterzuordnen. Sie würgten damit nicht nur objektiv die beginnende Revolution ab, sondern Abgesandte der KPdSU gingen selbst gewaltsam gegen Revolutionäre vor, warfen sie ins Gefängnis, folterten sie und brachten sie um. (Der spanische Bürgerkrieg – Verrat aller relevanten Arbeiteroganisationen an der Revolution – NORBERTs GESCHICHTEN ÜBER GESCHICHTE)

3. Ein äußerst wichtiger Punkt ist die Frage der Demokratie.

Vor der Oktoberrevolution forderten die Bolschewiki stürmisch die sog. Konstituierende Versammlung, die von der Kerenski-Regierung immer wieder hinausgezögert wurde. Die Konstituierende Versammlung (auch Konstituante genannt) sollte die Regeln für den weiteren staatlichen Aufbau festlegen.

Lenin äußerte sich klar vor der Revolution, dass die Sowjets der Arbeiterdeputierten, … von jetzt an vorübergehend bis zum Zusammentritt der verfassunggebenden Versammlung in ihren Bezirken mit voller Regierungsautorität ausgestattet sind. (Russische konstituierende Versammlung – Wikipedia) Bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung, die am 12. November 1917 stattfanden, kamen die Bolschewiki auf 22,5 % der Stimmen. Enttäuschend. Daraufhin verhinderten sie das Zusammentreten dieser Konstituante am zweiten Tag. Es mag sein, dass sich so kurz nach der Revolution in der Zusammensetzung der Konstituante das Bild der Vergangenheit widerspiegelte, wie die Bolschewiki argumentierten. Wenn dem aber so war, was hinderte sie daran, sofortige Neuwahlen für diese Versammlung durchzuführen? Darauf gibt es nur eine Antwort: Die Erhaltung ihrer Macht und die darauf aufbauende Ideologie der Bolschewiki.

Lew Dawidowitsch Bronstein, bekannt als Leo Trotzki, schreibt in seiner Abhandlung: Von der Oktoberrevolution bis zum Brester Friedensvertrag: „Dank dem offenen und unmittelbaren Kampf um die Regierungsgewalt häufen die arbeitenden Massen in kürzester Zeit eine Menge politischer Erfahrungen an und steigen in ihrer Entwicklung schnell von einer Stufe auf die andere. Der schwerfällige Mechanismus der demokratischen Institutionen kommt dieser Entwicklung um so weniger nach, je größer das Land und je unvollkommener sein technischer Apparat ist.“ Nach (Rosa Luxemburg: Die russische Revolution)

Und weil die demokratischen Institutionen so schwerfällig sind, schafft man sie am besten gleich ganz ab. Damit haben aber die Bolschewiki, wie Rosa Luxemburg schrieb, den lebendigen Quell der Demokratie, nämlich das aktive, ungehemmte, energische politische Leben der breitesten Volksmassen verschüttet.

Und wenn nach den Worten der Bolschewiki die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernsowjets viel demokratischer, direkter und kontrollierbarer gewählt wurden und deshalb ihnen die Regierungsgewalt zustehen würde, wo bleiben dann diejenigen, die nicht in diesen Sowjets vertreten sind? Z.B. Handwerker, Händler oder Nichtarbeitende. Die wären demnach von jeder demokratischen Mitwirkung abgeschnitten.

Das fehlende Vertrauen in die Massen und das daraus folgende Kommandoregime äußerte sich bei Lenin schon lange vorher. Rosa Luxemburg hatte in ihrer Schrift Die Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie aus dem Jahre 1904 den von Lenin befürworteten Ultrazentralismus in der Partei kritisiert. Sie schrieb, dass diese Herangehensweise hauptsächlich auf die Kontrolle der Parteitätigkeit und nicht auf ihre Befruchtung, auf die Einengung und nicht auf die Entfaltung, auf die Schuriegelung und nicht auf die Zusammenziehung der Bewegung zugeschnitten sei. (Rosa Luxemburg: Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie (1904)

Am Ende dieser Schrift schreibt sie jenen denkwürdigen Satz: „Fehltritte, die eine wirkliche revolutionäre Arbeiterbewegung begeht, sind geschichtlich unermesslich fruchtbarer und wertvoller als die Unfehlbarkeit des allerbesten Zentralkomitees.“

Rosa Luxemburg war es auch, die schon 1918 im Breslauer Gefängnis bezüglich der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus schrieb: „In Russland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Russland gelöst werden.“ (Rosa Luxemburg: Die russische Revolution) Der Versuch war also in ihren Augen gescheitert. Hätten die Bolschewiki das eingesehen, wäre die Weltgeschichte anders verlaufen.

Und noch ein Zitat von Rosa Luxemburg: „Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. Sozialistische Demokratie beginnt aber nicht erst im Gelobten Land, wenn der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei.“ (Rosa Luxemburg: Die russische Revolution)

4. Was aber war die Grundlage für die Fehleinschätzungen und die darauf aufbauende falsche Politik?

Der Sozialismus in Sowjetrussland/Sowjetunion scheiterte nicht daran, dass andere Länder ihrem Beispiel nicht folgten und die Revolution in ihrem Land nicht durchführten. Diese Diskussion ist abstrakt und theoretisch, weil es vorher keine geschichtlichen Beispiele gab, aus denen man hätte Lehren ziehen können.

Jede Epoche der menschlichen Gesellschaft braucht eine gewisse Reife, um die nächste Stufe der Entwicklung zu erreichen. Hierbei spielen vor allen Dingen die Produktionsverhältnisse (die Bedingungen, unter denen produziert wird) und die Produktivkräfte (Stand der Werkzeuge, Maschinen und Arbeitskräfte) eine herausragende Rolle.

Karl Marx drückte das so aus: „Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.“ (Karl Marx – Zur Kritik der Politischen Oekonomie – Vorwort)

Beispielsweise konnte das Bürgertum erst dann das Joch des Feudaladels abschütteln und selbst die Macht übernehmen, als die von ihm entwickelten Produktivkräfte so weit waren, dass sie eine grenzenlose Ausweitung erforderten, z.B. weltweiter Waren- und Kapitalverkehr ohne Beschränkung, was durch die feudalistische Kleinstaaterei aber verhindert wurde. Der Feudalismus hatte seine geschichtliche Aufgabe erfüllt und musste abtreten.

Der Sozialismus in Sowjetrussland/Sowjetunion war von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil diese Lehre, die Karl Marx aus der geschichtlichen Entwicklung abgeleitet hat, in Russland in den Wind geschlagen wurde. Russland war kein hoch entwickeltes Industrieland, sondern ein rückständiges Agrarland. Es war ein feudalistisches Land. Vor 8 Monaten erst war der Zar von seinem Thron verjagt worden. Mindestens 85 % der Bevölkerung waren Bauern, bzw. lebten auf dem Land.

Die materiellen Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution waren in Russland nicht gegeben. Die Produktivkräfte waren nicht so weit entwickelt, dass man sie nur in Besitz zu nehmen brauchte, um allen Menschen ein besseres Leben zu gewährleisten. Diese Produktivkräfte mussten erst geschaffen werden. Lenin war bewusst, dass das ohne eine kapitalistische Phase nicht gehen würde. Er plädierte für die Einführung des Staatskapitalismus. Das wurde 1921 mit der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) auch gemacht. Lenin selbst erkannte die Gefahren. In dem Beitrag Über die Naturalsteuer ging er bis ins Detail auf die damit verbundene Stärkung des Bürgertums, besonders des Kleinbürgertums, und die Auswirkungen auf die russische Gesellschaft ein. Für ihn war aber die Macht der Arbeiter und Bauern (trotzdem) gesichert (LW32.pdf S. 341 ff). Das hat mit materialistischer Auffassung nichts zu tun. Die geht nämlich davon aus, dass das materielle Sein das Bewusstsein bestimmt. Die Weichen einmal in Richtung Kapitalismus gestellt, kann keine Macht der Welt die Auswirkungen auf die Gesellschaft, besonders auf das Kleinbürgertum, aufhalten: Eigensucht, Konkurrenzdenken, Karrierismus, Geiz, Neid, Besitzdenken, alle typischen Begleiterscheinungen des Kapitalismus entfalteten sich. Die russische Gesellschaft und damit auch die bolschewistische Partei veränderte sich. Es strömten immer mehr Kleinbürger, Opportunisten und Karrieristen in die Partei. Der Zentralismus verschaffte ihnen Macht, die Partei verbürokratisierte und verkam zu einer diktatorischen bürgerlichen Partei.

Man wollte aller Welt beweisen, dass man auch in einem rückständigen Land den Sozialismus aufbauen kann. Da das aber eine Illusion ist, musste man 2 Dinge tun. Man passte 1. die Ideologie an die vorhandenen Bedingungen an und verkaufte das als marxistische Theorie. Und da die Bauern jetzt ihr eigenes Land verteidigten, das sie sich erobert hatten, gingen sie auf die Barrikaden, wenn man ihnen ihre Erträge wegnahm. Also ging man 2. zunehmend mit Gewalt und Zwang gegen die Bauern vor und verkaufte das als Diktatur des Proletariats.

Marx hätte mit größter Wahrscheinlichkeit gegen den unter diesen Bedingungen stattfindenden Aufbau des Sozialismus in Russland und gegen Lenin genauso polemisiert wie gegen die Theorien und Überzeugungen von Wilhelm Weitling, Ferdinand Lassalle oder Wilhelm Liebknecht.

Die beiden Personen, die in Russland die Entwicklung vorantrieben, Lenin und Trotzki, waren intelligente, zielstrebige und entschlossene Männer, die ihrer Zeit weit voraus waren. Aber sie steckten in einer unauflösbaren Zwickmühle. Sie hatten aller Welt den Aufbau des Sozialismus versprochen. Sie waren ihren Arbeitern, die dafür gekämpft hatten, verpflichtet. Sie waren Gefangene ihrer Überzeugung und ihrer Worte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder vorwärts zum Aufbau des Kapitalismus, aber ohne sozialistische Verbrämung oder vorwärts mit kapitalistischen Mitteln zum Sozialismus, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Die erste Möglichkeit wäre ehrlich gewesen, sie entschieden sich aber für die zweite Möglichkeit mit allen unheilvollen Folgen.

An diese Stelle passt ein Zitat von Friedrich Engels über Thomas Münzer haargenau. Münzer war ein revolutionärer Führer der Bauern im deutschen Bauernkrieg Anfang des 16. Jahrhunderts und seiner Zeit weit voraus. Auch er steckte in einem ähnlichen Dilemma:

„Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions- und Verkehrsverhältnisse, auf dem der jedesmalige Entwicklungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigne Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von ihm ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfs und seiner Bedingungen; er ist gebunden an seine bisherigen Doktrinen und Forderungen, die wieder nicht aus der momentanen Stellung der gesellschaftlichen Klassen gegeneinander und aus dem momentanen, mehr oder weniger zufälligen Stande der Produktions- und Verkehrsverhältnisse hervorgehn, sondern aus seiner größeren oder geringeren Einsicht in die allgemeinen Resultate der gesellschaftlichen und politischen Bewegung. Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen… Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren…

Die Stellung Münzers an der Spitze des ewigen Rats von Mühlhausen war indes noch viel gewagter als die irgendeines modernen revolutionären Regenten. Nicht nur die damalige Bewegung, auch sein ganzes Jahrhundert war nicht reif für die Durchführung der Ideen, die er selbst erst dunkel zu ahnen begonnen hatte. Die Klasse, die er repräsentierte, weit entfernt, vollständig entwickelt und fähig zur Unterjochung und Umbildung der ganzen Gesellschaft zu sein, war eben erst im Entstehen begriffen. Der gesellschaftliche Umschwung, der seiner Phantasie vorschwebte, war noch so wenig in den vorliegenden materiellen Verhältnissen begründet, daß diese sogar eine Gesellschaftsordnung vorbereiteten, die das gerade Gegenteil seiner geträumten Gesellschaftsordnung war.(Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg, VI. Der thüringische, elsässische und östreichische Bauernkrieg – Zeno.org)

Und genau das hat sich in Sowjetrussland/Sowjetunion wiederholt.

2 Kommentare bei „Der Aufbau des Sozialismus in Sowjetrussland/Sowjetunion – der größte Fake der Weltgeschichte“

  1. „Im Februar 1917 musste Zar Nikolaus II. seine Krone abgeben und den Hut nehmen.“
    Wow, friedlich, als wäre die ganze Familie, mit 5 Kindern, nicht erschossen worden.
    In der Geschichte der Menschheit gab es einen einzigen, wahren Revolutionär, Mahatma Gandhi! „Was man mit Gewalt bekommt, wird man mit Gewalt verteidigen“, ein ewiges Teufelskreis. keine Revolution ist „gut“, wenn sie aus Hunger und Not entsteht und nicht im Geiste.
    Heute wollen die Russen nichts anderes als eine Putin Diktatur, einen „starken Mann, starken Führer“ einen Zaren, einen Kaiser, einen Faschisten. Sie verdienen es auch nicht anders, weil ihre Revolution auf Massengräbern gebaut wurde. Andere werden die Macht genau so mit Gewalt an sich reißen.
    Die Welt will keine Demokratie, die Welt ist nicht reif für den Frieden und es gibt keinen einzigen Vorbild außer Mahatma Gandhi, der den MENSCHEN in den Mittelpunkt stellt, ob rechts/links/Inder oder Engländer. Wer ihm das nachmachen kann, ist ein wahrer Revolutionär. Ich bin überzeugt, dass der Mensch nur sich selbst besiegen muss, seine Selbstsucht, seine Ängste, sein Gier, seinen Neid, seine Gewaltbereitschaft, seine niederen Instinkte…wer das schafft, braucht keine „Revolution“ im Außen mehr, da alle Revolutionen außerhalb von einem selbst, aus Elend & Machtgier entstehen und Gewalt fördern. Es gibt keine „reife Frucht“ Namens Revolution, es gibt gar keine Revolution; Nur Krieg um Macht! Nein, Danke, sage ich.
    Ich empfehle, immer alle Seiten zu betrachten, jedes Leben ernst zu nehmen. Bei der Gelegenheit: „Bobik im Feuerofen“, ihn hätten Deine „Revolutionäre“ auch getötet. Er wurde „Der Arzt der Armen“ in Berlin.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Lindenberg
    -Eine Freundin aus den Achtzigern-

    1. Entschuldige, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich hatte einiges um die Ohren.
      Jede Theorie muss in der Praxis beweisen, ob sie richtig ist. Das habe ich versucht, anhand der russischen Revolution zu veranschaulichen. Ich habe geschrieben, dass die Revolution gleich am nächsten Tag in die falsche Richtung gelenkt worden ist. Eine falsche Theorie führte zwangsläufig zu einer falschen Praxis. Am Ende ging es nur um den reinen Machterhalt einer Minderheit, der Partei.
      Der Beweis der Theorie in der Praxis gilt aber auch für Mahatma Gandhi. Was ist aus seiner Theorie geworden? Warum hat sich gerade in Indien, wo der Kapitalismus noch zusätzlich durch das Kastenwesen gestützt wird, nichts geändert? Es konnte sich nichts ändern, weil sich der Mensch in einer kapitalistischen Welt nicht ändern kann. Der einzelne Mensch muss mitschwimmen, ob er will oder nicht, ansonsten geht er vor die Hunde. Es ist dieses System, was die Gier, den Neid, die Selbstsucht, die Machtgier usw. hervorruft. Auch Menschen, die sich zur Gewaltlosigkeit bekennen, werden vielleicht eines Tages vor die Frage gestellt werden, ob sie sich wehren sollen, möglicherweise auch mit Gewalt, oder nicht. Ob sie auch die andere Backe hinhalten, wenn man sie auf die eine schlägt.
      Und wenn du schreibst, die Welt will keine Demokratie und sie ist nicht reif für den Frieden, so ist das einfach falsch. Die Frage muss so gestellt werden: Wer will keine Demokratie und wer will keinen Frieden? Ich kenne niemanden in meiner näheren Umgebung, der nicht für Demokratie und nicht für Frieden ist. Und das dürfte bei dir nichts anders sein. Offensichtlich ist es doch wohl so, dass nur eine Minderheit auf dieser Welt nicht für Demokratie und Frieden ist. Weil sie damit und davon gut leben. Bloß diese Minderheit hat überall auf der Welt die Macht. Diese Minderheit ist sogar zum großen Teil so, wie du sie dir vorstellst. Sie brauchen nicht missgünstig oder neidisch zu sein, weil sie alles haben. Sie brauchen selbst auch keine Gewalt anzuwenden, das lassen sie andere machen. Also im Grunde vorbildliche Menschen. Bloß diese vorbildlichen Menschen verwüsten und zerstören die Erde, nicht weil sie besonders böse sind, sondern weil die dem Kapitalismus innewohnenden Gesetze es erfordern. (Die von Karl Marx beschriebenen Entwicklungsgesetze des Kapitals wirken heute noch genauso wie früher.)
      Befreien kann man sich aus dieser Situation nur in einer, große Teile der Werktätigen umfassenden, gemeinsamen Aktion. Und nicht im stillen Kämmerlein, in dem man an sich selbst arbeitet.

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