Entwicklung des Faschismus in der Bundesrepublik – Faschismus in Deutschland Teil II

10. Haltung des Staates und seiner Institutionen zu den Neonazis

Vertuschung, Verharmlosung, Verschleierung und Unterstützung rechtsextremer Gruppen und die Behinderung der Ermittlungen durch den Staat hat Methode: Bis zum Juni 2017 werden von der Bundesregierung seit 1990 75 Morde gezählt, die von Rechtsextremen verübt worden sind. Die Amadeu-Antonio-Stiftung geht von mindestens 192 Todesopfer rechter Gewalt aus. (siehe Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 | Mut Gegen Rechte Gewalt)

Der Bundestag verabschiedete im November 2011 einen Entschließungsantrag zur Mordserie der NSU (Drucksache 17/7771). Darin heißt es u.a.:

„Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer, die geliebte Menschen verloren haben. Die Unbegreiflichkeit des Geschehenen, die jahrelange Ungewissheit über Täter und ihre Motive waren und sind eine schwere Belastung für die Betroffenen.

Wir sind zutiefst beschämt, dass nach den ungeheueren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt.

Dem Extremismus muss entschieden entgegengetreten werden. Wir alle sind gefordert, zu handeln – überall dort, wo Rechtsextremisten versuchen, gesellschaftlichen Boden zu gewinnen.

Rechtsextreme, Rassisten und verfassungsfeindliche Parteien haben in unserem demokratischen Deutschland keinen Platz.

Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren.“ (1707771 – 1707771.pdf)

Der erste oben angeführte Satz aus diesem Antrag ist eine regelrechte Verhöhnung der Angehörigen der Opfer angesichts der Tatsache, dass die Opfer und ihre Angehörigen zuerst vom Staat verdächtigt worden sind, selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen zu sein, dass die Opfer Geliebte gehabt haben sollen usw.

Und wie vertragen sich die anderen schönen Worte mit der Wirklichkeit?

Wenn man sich die jährlichen Berichte des Verfassungsschutzes durchliest, fällt folgendes auf:

Mit Akribie und durchaus vollkommen richtig werden jedermann zugängliche öffentliche Äußerungen von Mitgliedern der NPD analysiert und der ideologische Hintergrund aufgezeigt.

Mit Akribie werden die Straftaten von Linksextremisten nicht nur gezählt, sondern auch viele davon beschrieben.

Mit sehr viel weniger Akribie werden die Straftaten der Rechtsextremisten gezählt und es werden auch nur wenige beschrieben.

Bis zum Verfassungsschutzbericht 2010 (also dem Höhepunkt der Mordserie des NSU) wurde behauptet, dass „in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar seien. (Verfassungsschutzbericht 2010 – S. 57) (vsb2010.pdf)

In der von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Auftrag gegebene Studie „Das Kartell der Verharmloser – Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren“ wird anhand von mehreren Beispielen erläutert, dass Polizei und Behörden in vielen Fällen überhaupt nicht daran interessiert waren, rechtsextreme Gewalttäter zu verfolgen.

In Wismar gibt es das alternative Zentrum TIKO, das regelmäßig von Neonazis angegriffen wird. Doch noch nie haben die bei solchen Vorfällen herbeigerufenen Polizisten einen der Neonazis gefasst, obwohl die Polizeistation nur wenige hundert Meter entfernt liegt. In der Polizeistatistik von Wismar findet sich in den letzten Jahren keine einzige Straftat, die sich im Umfeld des TIKO abgespielt hat.

In Chemnitz gibt es ein koscheres Restaurant mit dem Namen Schalom. Der Besitzer zählte in den vergangenen Jahren über hundert Angriffe von Neonazis auf das Restaurant. Die angerichteten Schäden belaufen sich mittlerweile auf mehr als 40.000 €. Es wurde kein einziger Täter gefasst. Von behördlicher Seite wurde der Betreiber selbst verantwortlich gemacht: „Wenn Sie ein Unternehmen mit so einem Logo führen, müssen Sie sich über so eine Aufmerksamkeit nicht wundern“. Der Restaurantbesitzer stellt erschüttert fest: „Es ist unglaublich, was die Rechten hier anrichten können, ohne dass es irgendwelchen Konsequenzen nach sich ziehen würde“.

In Sachsen-Anhalt wurde Ende Februar 2012 ein türkischer Imbissbetreiber durch Angreifer mit dem Tode bedroht. Wenn er seinen Imbiss nicht bis zum 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, schließe, werde er das nächste Opfer sein. Die Polizei kam erst nach mehreren Anrufen. Statt den Hinweisen auf das politische Motiv der Neonazis nachzugehen, wurde bei dem aus dem Ohr blutenden Imbissbesitzer ein Alkoholtest durchgeführt. In der Pressemitteilung ging es lediglich um eine Auseinandersetzung um das beschlossene Rauchverbot.

In Frankfurt am Main wurde ein junger Mann mit äthiopischen Wurzeln von vier Angreifern mit Pfefferspray und Baseballschlägern traktiert und als Neger bezeichnet. Zeugen berichteten, dass die angerückte Polizei sich über das Opfer mit diskriminierenden Witzen lustig machten. Und erst durch das Eingreifen der Zeugen ließen sich die Polizisten dazu herab, den Verletzten zu einer nahe gelegenen Disko zu begleiten, um mögliche Täter zu identifizieren. Von einem der Beamten wurde die Beschimpfung „du Neger“ mit den Worten abgetan, dass das in solchen Kreisen Alltagssprache sei.

Und es geht nicht nur um das Verhalten der Polizei: In Limbach-Oberfrohna wurde das Vereinshaus des Demokratievereins regelmäßig von rechten Schlägern und Gewalttätern belagert. Anstatt dem Verein zu Hilfe zu kommen, wurde im Kriminalpräventiven Rat, dem auch der Stellvertreter des Oberbürgermeisters angehörte, darüber diskutiert, wie man den damaligen Vorsitzenden des Vereins wegen Missbrauch des öffentlichen Notrufs belangen könnte. Außerdem unterstellte man dem Verein, die Hakenkreuze selbst gesprüht und die Sachbeschädigungen an den Autos selbst verursacht zu haben. Und die Vereine gegen Rechts seien auch selbst schuld an der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen. Sie würden durch Kleidung und Aussehen die Neonazis provozieren. (kartell-internet.pdf (application/pdf-Objekt)

Seit Oktober 2010 gab es sogar eine Weisung der Familienministerin Kristina Schröder (CDU), dass die Initiativen gegen Rechts eine sog. Extremismuserklärung unterschreiben müssen. Ansonsten würde es keine finanzielle Unterstützung mehr geben. Es wurde von den Gruppen eine Erklärung verlangt, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, also eine ideologische Reinheitserklärung. Das war also von dem Passus zu halten, dass alle demokratischen Gruppen gestärkt werden sollen, die den Kampf gegen Rechts führen. Die Extremismuserkärung musste 2014 wieder abgeschafft werden.

Das sind einzelne Beispiele von vielen. Die ihnen zugrundeliegende Haltung des Staates und seiner Organe gegenüber Neonazis, Ausländern und Flüchtlingen hat eine lange Tradition.

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