Wie kam es 1933 zum Faschismus? – Faschismus in Deutschland Teil I

Abschnitt 2  Die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung 1919

5.Oktober 1918 – Die bürgerliche Republik kam still und leise über Nacht – und auf Krücken.

Am Morgen dieses Tages erfuhren die Deutschen aus den Zeitungen, dass aus der kaiserlichen Militärdiktatur eine Demokratie geworden sei.

Die neue Regierung wurde natürlich nicht gewählt, sondern eingesetzt. Eingesetzt von einem Mann, der bis zu diesem Zeitpunkt noch die Fäden in der Hand hatte: General Ludendorff. Max von Baden, ein gemäßigter liberaler Prinz, wurde zum Reichskanzler ernannt. Das neue Kabinett berücksichtigte erstmals die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag. Es setzte sich zusammen aus bürgerlichen Demokraten, Politikern des katholischen Zentrums, und einem Mann der roten Umsturzpartei SPD.

Das war natürlich nicht dem Umstand geschuldet, dass die kaiserliche Generalität und insbesondere General Ludendorff, der ein unermüdlicher Hasser der Demokratie war, auf einmal Demokraten geworden wären. Es war nur ein geschickter Schachzug. Die meisten derjenigen, die den mörderischen Weltkrieg angezettelt hatten, mussten sich eingestehen, dass der Krieg, der an die 17 Millionen Menschen das Leben gekostet und ganze Landstriche in Schutt und Asche verwandelt hatte, verloren war. Die alten Mächte und die mit ihnen verbundene Generalität sollten mit diesem Schachzug aber davor bewahrt werden, als die Schuldigen dazustehen. Die Bildung der neuen Regierung war von General Ludendorff mit der Auflage verbunden worden, Waffenstillstandsverhandlungen durchzuführen, was dann im November 1918 geschah und mit dem Vertrag von Versailles besiegelt wurde. Dieses Manöver hatte weitreichende Folgen: Noch Jahre später konnten alte Monarchisten, Erzreaktionäre und Faschisten dem deutschen Volk einhämmern, dass die alleinige Schuld für die demütigenden Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages bei den Novemberverrätern, den Erfüllungspolitikern, für die Rathenau exemplarisch ermordet wurde, lag. Es entstand die Dolchstoßlegende, nach der die vermeintlich unbesiegte kaiserliche Armee von feigen Schurken von hinten niedergestochen wurde.

Noch aber war die revolutionäre Arbeiterschaft in der Lage, alle Manöver und Pläne durchkreuzen. Es wurde ja an der Front immer noch weiter gekämpft und weiter gestorben. Als dann die Admiralität die bis dahin sorgsam gehütete Flotte in das letzte Gefecht schicken wollte, widersetzten sich die Matrosen. Wie in Russland ein Jahr zuvor gaben die revolutionären Matrosen das Signal zum Aufstand.

Am Morgen des 9. November 1918 rüstete sich die gesamte Industriearbeiterschaft Groß-Berlins zum Marsch auf die Innenstadt. Unaufhaltsam überflutete die zum Handeln entschlossene Volksmenge die Berliner Innenstadt, um ihrer Forderung nach sofortiger Beendigung des Krieges Nachdruck zu verleihen. Reichstag und Schloss waren umgeben von einem Wald von roten Fahnen. Die gesamte Arbeiterschaft Berlins, Frauen und Männer, dazu Zehntausende von bewaffneten mit der Volksmenge solidarischen Soldaten, warteten ungeduldig darauf, dass endlich etwas Entscheidendes geschehen würde.

In dieser explosiven Situation riefen zwei Männer, jeder für sich, die Republik aus: Von einem Fenster des Reichstagsgebäudes rief Philipp Scheidemann, zweiter Mann der SPD und kaiserlicher Staatssekretär, dem Volk zu: „Es lebe die deutsche Republik!“

Von einem Balkon des gerade erst besetzten Schlosses proklamierte Karl Liebknecht „die freie sozialistische Republik Deutschland“. Karl Liebknecht, der erst am 23. Oktober aus dem Gefängnis entlassen worden war, in das man ihn wegen eines öffentlichen Aufrufs, den verbrecherischen Krieg zu beenden, gesteckt hatte, war Mitglied der Spartakus-Gruppe, einer am linken Rand der USPD für die Revolution agitierende Gruppe, und einer der mutigsten deutschen Revolutionäre.

Am Nachmittag des 9. November, als noch in der Reichskanzlei Koalitionsgespräche über die Bildung einer neuen Linksregierung im vollen Gang waren, schufen die Revolutionären Obleute vollendete Tatsachen. Sie schrieben für den nächsten Tag in allen Berliner Großbetrieben und Kasernen Wahlen von Arbeiter- und Soldatenräten aus. Und tatsächlich erschienen am nächsten Tag die Arbeiter fast vollzählig in ihren Betrieben, die Soldaten in ihren Unterkünften und wählten ihre Räte, die noch am Nachmittag desselben Tages im Zirkus Busch zusammentraten, um eine oberste vollziehende Gewalt, den Rat der Volksbeauftragten, einzusetzen.

Die Revolution schien also gesiegt zu haben, wenn nicht, tja, wenn nicht die SPD gewesen wäre. Die Führung der SPD, allen voran Friedrich Ebert, ein absoluter Gegner der Revolution und der Rätewirtschaft, setzte alles daran, den Fortgang der Revolution zu behindern und abzuwürgen. Sie sorgte einmal mit der Parole: „Kein Bruderkampf!“ dafür, dass nirgendwo Kampfabstimmungen zwischen Vertretern des linken und des rechten Flügels der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung stattfanden. In einigen Betrieben wurden sogar rechte SPD-Funktionäre gewählt, die tags zuvor noch von ihren Kollegen verprügelt worden waren, weil sie sich dem Marsch auf die Innenstadt widersetzten.

Otto Wels jagte als Beauftragter des SPD-Parteivorstandes von einer Kaserne zur anderen, um dort dafür zu sorgen, dass die dem Parteivorstand genehmen Soldatenräte gewählt wurden. Trickreich sorgte dann die Führung der SPD bei den Abstimmungen dafür, dass sie in dem Vollzugsorgan eine Dreiviertelmehrheit bekam.

Den schädlichen Einfluss der Sozialdemokratie auf die Revolution sieht man auch an den Richtlinien für die Aufgaben und das Tätigkeitsgebiet der Arbeiterräte (angenommen auf der Vollversammlung der Groß-Berliner Arbeiterräte im Januar 1919). Diese Richtlinien legten die Rechte, das Aufgaben- und Tätigkeitsgebiet der Arbeiterräte bis hin zur Entschädigung fest. Der schöpferische Akt der Revolution wurde in ein bürokratisches Korsett von Paragrafen eingezwängt. Es wurde z.B. festgelegt, dass der Arbeiterrat jedes Großbetriebes (…) der Direktion und dem Aufsichtsrat mit Sitz und Stimme bei allen zu erledigenden technischen und kaufmännischen Angelegenheiten gleichberechtigt beigeordnet (ist). Auch hier zeigte sich, dass die Sozialdemokratie gar nicht die herrschende Klasse entmachten, sondern nur an der Macht teilhaben wollte. Der Kapitalismus sollte nicht abgeschafft werden, sondern die SPD wollte von diesem System profitieren. Aus dieser Haltung heraus entstand später in der Bundesrepublik die Mitbestimmung.(Die Richtlinien sind nachzulesen z.B. bei Dieter Schneider/Rudolf Kuda – Arbeiterräte in der Novemberrevolution, edition suhrkamp 296, S. 80 ff)

Den neuen Regierungschef Ebert erreichte spät am Abend ein Anruf über eine geheime Telefonleitung aus dem belgischen Badeort Spa bei Lüttich, dem Sitz der kaiserlichen Obersten Heeresleitung. Am Apparat war General Wilhelm Groener, der Nachfolger Ludendorffs. Der General bat nicht etwa, sondern er forderte: Energischer Kampf gegen Bolschewismus und Räteunwesen, schnellste Rückkehr zu geordneten Zuständen und die Einberufung einer Nationalversammlung. Und Ebert hatte nichts Eiligeres zu tun, als allen diesen Punkten aus vollem Herzen zuzustimmen und sie auch in die Tat umzusetzen. Das war der Dolchstoß für die Revolution von innen heraus. Der Rat der Volksbeauftragten sorgte unter dem Einfluss der SPD dafür, dass er sich selbst und damit die gesamte Rätebewegung überflüssig machte. Am 19. Januar 1919 wurden Wahlen zur bürgerlichen Nationalversammlung abgehalten und damit die Weimarer Republik geboren.

Die Arbeiterklasse Deutschlands trat zu diesem Zeitpunkt unter dem Einfluss der Sozialdemokratie von der Weltbühne ab, kaum dass sie diese betreten hatte.

Doch die reaktionären Kräfte haben es der SPD nicht gedankt, dass sie zum Totengräber der Revolution wurde. Der Verrat an der Revolution von 1918/19 bildete die Grundlage für die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten, der auch viele SPD-Mitglieder zum Opfer fielen.

In dem Maße wie die revolutionären Massen an Einfluss auf das politische Geschehen verloren, in dem Maße erhoben die alten reaktionären monarchistischen und bürgerlichen Kräfte wieder ihr Haupt.

Aus den zurückströmenden Soldaten (die nicht nach Hause zurückkehren wollten, weil alles, was sie gelernt hatten, das Töten war), aus verkrachten kleinbürgerlichen Existenzen, reaktionären Studenten, Abenteurern, Arbeitslosen, Kriminellen, also kurz allem, was der Kapitalismus an degradierten Elementen zu bieten hatte, wurden Freikorps gebildet. Diese Freikorps wurden schon früh gegen die revolutionären Massen eingesetzt.

Zum Beispiel bei dieser Gelegenheit:

Aus Anlass der Entlassung des Polizeipräsidenten von Berlin Emil Eichhorn, Mitglied der USPD, riefen die USPD und die Revolutionären Obleute zu einer Demonstration auf. Dabei besetzten bewaffnete Demonstranten die Druckereien des sozialdemokratischen Vorwärts und des Berliner Tageblatts sowie die Verlagsgebäude von Scherl, Ullstein, Mosse, die Druckerei Büxenstein und das Wolffsche Telegraphenbüro.

Die Führungen von USPD und KPD beschlossen rasch, die begonnene Besetzung zu unterstützen. Besetzer und Parteienvertreter bildeten am Abend des 5. Januar einen etwa 50-köpfigen Revolutionsausschuss. Dieser rief die Berliner Bevölkerung am Folgetag zu einem Generalstreik für den 7. Januar und zum Sturz der Restregierung Eberts auf. Dem Aufruf folgten etwa eine halbe Million Menschen, die in die Innenstadt strömten.

Der Revolutionsausschuss konnte sich aber in der Folgezeit nicht auf ein weiteres Vorgehen einigen. Verhandlungen mit Ebert scheiterten. Dieser übergab Gustav Noske den Oberbefehl über die Truppen in und um Berlin. Und Noske befahl gleich nach seiner Ernennung, alle Mitglieder des Revolutionsausschusses telefonisch überwachen zu lassen, um sie später festzunehmen. Dazu wurden 50 ausgesuchte Offiziere in allen Berliner Postämtern eingesetzt.

Am 8. Januar forderte der von der SPD beeinflusste Rat der Volksbeauftragten die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Aufständischen und deren beabsichtigte Regierungsübernahme auf und veröffentlichte ein Flugblatt mit dem Titel: „Die Stunde der Abrechnung naht!“ Darin wurde den Aufständischen mit physischer Vernichtung gedroht.

Am 11. Januar gab Noske den Einsatzbefehl gegen die Besetzer des Vorwärts. Die Angreifer waren mit Kriegsausrüstung bewaffnet und ihren Gegnern daher weit überlegen. Das Freikorps Potsdam eroberte das Gebäude mit Flammenwerfern, Maschinengewehren, Mörsern und Artillerie. Auch weitere besetzte Gebäude und Straßen im Zeitungsviertel wurden bis zum 12. Januar erobert. Zu organisierten Schlachten kam es nicht, da die Aufständischen nicht darauf vorbereitet waren, vielfach ergaben sie sich freiwillig. Dennoch erschoss das Militär über hundert Aufständische und eine unbekannte Zahl von unbeteiligten Zivilisten vor Ort. Ein Untersuchungsausschuss des Preußischen Landtags bezifferte die Zahl der Todesopfer später auf 156. Die Militärs hatten dreizehn Gefallene und zwanzig Verwundete.

Am 13. Januar rückten die umliegenden Freikorps in die Stadt ein. Das größte von ihnen war die Gardekavallerie-Schützendivision unter dem Offizier Waldemar Pabst. Die Berliner Zeitungen begrüßten den Einzug nach Ende der Kämpfe als Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Der militärischen Besetzung folgten erhebliche Gewaltexzesse der reaktionären Truppen

Diese Vorgänge gingen in die Geschichte als Spartakusaufstand ein, obwohl die gerade erst gegründete KPD, die sich vorher Spartakusbund nannte, diesen Kampf weder gewollt hatte, noch an seiner Vorbereitung beteiligt war, sondern diesen Kampf nur unterstützt hatte.

Die wahren Urheber von Verschwörungstheorien, wie wir dann auch beim Reichstagsbrand sehen werden, sind also bei den reaktionären und bürgerlichen Kräften zu suchen. Da der Kommunismus ihr größter Feind ist, wird ihm alles Mögliche und Unmögliche in die Schuhe geschoben, nur um ihn bei der Bevölkerung zu verunglimpfen. Und es wird damit abgelenkt von der Tatsache, dass diese Kämpfe keine von irgendwelchen zwielichtigen Objekten angezettelten Ereignisse sind, sondern Folge der Lage der unterdrückten Klasse waren und sind, die sich gegen die herrschende Klasse auflehnen.

Die lokal begrenzten Kämpfe setzten sich nämlich anderswo fort: Anfang Februar an der Nordseeküste, vor allem in Bremen, dann in Thüringen und in der preußischen Provinz Sachsen, in der ersten Märzhälfte wieder in Berlin, im April in Bayern, vom Mai an im ehemaligen Königreich Sachsen usw.

Dieser blutige, Tausende von Todesopfern fordernde Bürgerkrieg im Jahre 1919 wird heute noch gern totgeschwiegen, stellte er doch einerseits – unter maßgeblicher Beteiligung und Verantwortung der SPD-Führung – die Weichen für jene Entwicklung, die zum Untergang der Republik, zur Nazidiktatur und zum Zweiten Weltkrieg geführt hat. Auf der anderen Seite leugneten und leugnen es die Führer, Nutznießer und Anhänger des Dritten Reiches, dass sie die Anfänge ihrer Bewegung, ihre Waffen und geheimen Zusammenschlüsse dem von ihnen verfluchten System und speziell jenem als Novemberverbrecher geschmähten Bonzenpack an der Spitze der SPD zu verdanken hatten.

Die Freikorps machten aber auch durch politische Morde, die heute unter dem Namen Fememorde bekannt sind, von sich reden.

Die besten, kämpferischsten und mutigsten Menschen, die je in Deutschland gelebt haben, fielen den Freikorps zum Opfer: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Wie tief die SPD-Führung in diese Morde verstrickt war, zeigt ein Brief aus dem Nachlass von Waldemar Pabst 1970, dem Offizier, der die Morde an Luxemburg und Liebknecht veranlasst hatte:

Daß ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte – mit Ebert im Hintergrund – und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin. Ich habe als Kavalier das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit.“ [Gustav Noske – Wikipedia]

Kurt Eisner, der Führer der bayrischen in der Nacht vom 7. zum 8. November ausgerufenen Republik, wurde vom Grafen Arco-Valley, einem ehemaligen Mitglied der Thule-Gesellschaft ermordet.

Die nach dem Tode Eisners ausgerufene bayrische Räterepublik wurde von der Gardekavallerie-Schützendivision des Reichswehrministers Noske, mithilfe starker Freikorps-Verbände zerschlagen. Die Freikorps-Söldner hatten Schießfreiheit auf alles, was sie für rot hielten. Die genaue Anzahl der Opfer ist unbekannt. Man schätzt, dass etwa 1.200 Menschen, zumeist Arbeiter, dem weißen Terror zum Opfer fielen, darunter der geistvolle Literaturhistoriker Gustav Landauer und der Kommunist Eugen Leviné.

In seinen 1920 erschienenen Memoiren gibt Noske selbst freimütig zu, welche Rolle er in dieser Zeit gespielt hat:

Der Kriegsminister, Oberst Reinhardt, formulierte einen Befehl, durch den die Regierung und der Zentralrat den Generalleutnant von Hofmann, der mit einigen Formationen nicht weit von Berlin war, zum Oberbefehlshaber ernannte. Dagegen wurde eingewendet, dass die Arbeiter gegen einen General die größten Bedenken hegen würden. In ziemlicher Aufregung, denn die Zeit drängte, auf der Straße riefen unsere Leute nach Waffen, stand man im Arbeitszimmer Eberts umher. Ich forderte, daß ein Entschluß gefaßt werde. Darauf sagte jemand: ‚Dann mach du doch die Sache!‘ Worauf ich kurz entschlossen erwiderte: ‚Meinetwegen! Einer muss den Bluthund machen! Ich scheue die Verantwortung nicht!‘ Reinhardt meinte, auf den Vorschlag habe er eigentlich immer gehofft. Ein Beschluss wurde mündlich so formuliert, daß die Regierung und der Zentralrat mir weitgehendste Vollmachten zum Zweck der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in Berlin übertrugen.“ [Gustav Noske – Wikipedia]

Doch die Niederschlagung der revolutionären Bewegungen reichte den reaktionären Kräften nicht. Sie wollten auch das Zerrbild einer demokratischen Republik unter Führung der SPD vernichten. Als nach langem Zögern die Reichsregierung den Befehl zur Auflösung der Brigade Ehrhardt, einer fünftausend Mann starken, mit Feldhaubitzen und schweren Maschinengewehren ausgerüsteten Eliteeinheit, gab, erklärte der vom Rat der Volksbeauftragten eingesetzte Oberbefehlshaber der Vorläufigen Reichswehr, General von Lüttwitz: „Ich werde nicht dulden, dass mir eine solche Kerntruppe in einer so gewitterschwülen Zeit zerschlagen wird!“

Er alarmierte die Brigade Ehrhardt und befahl ihr, am nächsten Tag, den 13. März 1920, in aller Frühe in Berlin einzumarschieren, das Regierungsviertel zu besetzen und das rote Pack davon zu jagen.

Die Reichswehr hielt die Füße still. Der Chef des Truppenamtes Generaloberst Hans von Seeckt soll genäselt haben: „Truppe schießt nicht auf Truppe.“

Die tapferen SPD-Mitglieder der Reichsregierung brachten sich erst mal in Dresden und dann in Stuttgart in Sicherheit. So konnte dann der Landschaftsdirektor Kapp – nach dem dieser Putsch zu Unrecht benannt wurde, denn er spielte nur eine Nebenrolle – sich in der geräumten Reichskanzlei zum neuen Reichskanzler erklären.

Doch die vereinigten Reaktionäre, die ja nur der Vortrupp der alten kaiserlichen Herren und General Ludendorffs gewesen waren, hatten nicht mit der Arbeiterschaft gerechnet.

Bereits am 14. März begann der Generalstreik. Am 15. März dehnte er sich auf ganz Deutschland aus. Es standen buchstäblich alle Räder still. Es wurde nicht nur die Arbeit in den Fabriken, Zechen und Hüttenwerken, auf den Werften und allen Baustellen, in den Büros, Warenhäusern und Banken eingestellt, der gesamte Eisenbahn- und Postverkehr ruhte, keine Zeitung erschien, Straßenbahnen und Omnibusse blieben in den Depots. In Berlin wurde sogar die Strom-, Gas- und Wasserversorgung unterbrochen und alle Telefon- und Fernschreibverbindungen waren abgeschaltet. So fand der Putschversuch schon nach 5 Tagen sein Ende. Kapp floh nach Schweden und von Lüttwitz nach Ungarn.

Es erwuchs noch einmal revolutionärer Schwung aus dieser ungeahnten einmütigen Willensbekundung der Arbeiterschaft. In Sachsen und Thüringen, dann auch im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, kam es zu bewaffneten Aufständen.

Unter dem Eindruck dieses revolutionären Aufschwungs fanden sich ganz schnell die Putschisten, die Reichswehr, das Beamtentum, die Großindustrie und Finanzwelt, die Junker und die SPD-Führung wieder zusammen. In Sachsen und Thüringen wurde die Reichswehr eingesetzt, die nach harten, wechselvollen Kämpfen Sieger blieb. Anders war die Lage im Ruhrgebiet. Hier hatte eine rasch aus der Arbeiterschaft gebildete Rote Armee die örtlichen Reichswehr-Garnisonen in die Flucht geschlagen und am 20. März 1920 stand das ganze rheinisch-westfälische Industriegebiet unter der Herrschaft der siegreichen Arbeiter.

Währenddessen hatte der Sozialdemokrat Hermann Müller das Kanzleramt übernommen. Die erste Amtshandlung der neuen Regierung war ein Ultimatum an die Arbeiter des Ruhrgebiets. Sie, die diese Republik gerettet hatten, sollten sofort die Waffen niederlegen und sich der angeblich auf den Boden der Verfassung zurückgekehrten Reichswehr unterwerfen.

Das aber wollten viele Arbeiter nicht. Nach dem Zusammenbruch des Putsches im Reich kämpften die Arbeiter des Ruhrgebietes weiter. Aus dem Abwehrkampf gegen den Rechtsputsch wurde jetzt eine Aufstandsbewegung, die zum Sturz der Regierung aufrief mit dem Ziel der Errichtung einer Räterepublik. Das wiederum konnten die reaktionären Kräfte einschließlich der SPD nicht zulassen. Am 2. April 1920 marschierte die Reichswehr auf Befehl der SPD-geführten Regierung unter dem Kommando des ehemaligen kaiserlichen Generals Oskar von Watter ins Ruhrgebiet ein. Watter hatte auch noch eine Schmach zu tilgen. Truppenteile der Reichswehr mussten wie die Hasen vor dem furiosen Ansturm der Roten Ruhrarmee flüchten. Die Rache war fürchterlich. (Niederlage der Roten Ruhr-Armee)

Watters Truppen gingen mit äußerster Brutalität gegen die bewaffnete Arbeiterschaft vor. Als Hilfstruppen wurden vor allen Freikorps eingesetzt, die kurz zuvor noch gegen die Regierung Front gemacht hatten. Gegen die bewaffnete Übermacht hatten die Arbeiter keine Chance. Wochenlang wütete der Terror der Freikorps. Das Gelsenzentrum geht von über 2.000 toten Arbeitern aus, die zum größten Teil nach Beendigung der Kämpfe ermordet wurden (GELSENZENTRUM – Die Rote Ruhrarmee im Ruhrkrieg 1920).

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