Wie kam es 1933 zum Faschismus? – Faschismus in Deutschland Teil I

Abschnitt 13  Warum konnte der Faschismus nicht verhindert werden?

Es ist müßig, darüber zu reden, ob unter den gegebenen Bedingungen der Faschismus hätte verhindert werden können. Die Geschichte hat ihr Urteil gefällt. Die Frage ist nur: Warum konnte er nicht verhindert werden?

Die SPD hatte sich seit ihrem Sieg über die Revolution 1918/19 nicht geändert. Sie war eine reformistische Partei, die die Revolution hasste wie die Pest. Nachdem ihre Anhänger immer revolutionärer wurden, wollte sie sogar den Sozialismus, aber mit friedlichen Mitteln, mit anderen Worten gar nicht. Es konnte für die KPD also nur darum gehen, die zahlreichen Anhänger der SPD durch geduldige Überzeugungsarbeit, durch Aktionseinheit in den Betrieben und sonstigen gemeinsamen Aktionen auf unterer Ebene für sich zu gewinnen. Das gilt natürlich auch für die von den Nationalsozialisten beeinflussten Arbeiter. Diese Arbeit wurde zwar auch gemacht. Aber katastrophale Fehleinschätzungen behinderte die KPD enorm bei der Gewinnung sozialdemokratischer Arbeiter.

Vom 10. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im Juli 1929 wurde wie schon auf dem VI. Weltkongress der KI entwickelt, die Sozialfaschismus-These in den Vordergrund gerückt. Sozialfaschismus heißt soviel wie: SPD = Sozialismus in Worten und Faschismus in der Tat. Nun ist unbestritten, dass die SPD, seit sie 1914 den Kriegskrediten zugestimmt hat, ganz offen eine Stütze der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse geworden ist und sie auch das Blut vieler Arbeiter auf dem Gewissen hat. Aber eine faschistischen Partei war sie sicher nicht. Stalin machte sie sogar zu einem Zwilling der NSDAP.

Er schrieb 1924: „Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokraten stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, die Kampforganisationen der Bourgeoisie könnten ohne die aktive Unterstützung durch die Sozialdemokraten entscheidende Erfolge in den Kämpfen oder bei der Verwaltung des Landes erzielen. Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind nicht Antipoden, sondern Zwillingsbrüder.“
Stalin, Werke, Band VI, S. 253 Berlin 1950

Diese Einschätzung wurde unverändert von der KPD übernommen. Noch am 20.02.1932 wiederholte Ernst Thälmann, der Vorsitzende der KPD, auf der Plenartagung des ZK die These von den Zwillingen SPD und NSDAP. (ZK der KPD – Ernst Thälmann – 19. Februar 1932)

Die Behandlung der SPD als sozialfaschistische Partei hatte natürlich enorme Auswirkungen auf das Verhältnis der beiden Parteien zueinander. Ein Beispiel, wie aufgrund dieser Theorie die Feindschaft zwischen den beiden Parteien geschürt wurde:

Die Zeitung des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands Die Junge Garde verbreitete die Parole: Vertreibt die Sozialfaschisten aus den Betrieben, aus den Arbeitsnachweisen und aus den Berufsschulen! Mit solchen Parolen und Handlungen macht man sich Sozialdemokraten zum Feind.

Das war zwar nicht die offizielle Parteilinie und wurde von der Führung der KPD auch scharf kritisiert, viele Mitglieder der KPD und auch Mitglieder des ZK der KPD, wie Heinz Neumann, dachten und handelten aber so. Neumann war Chefredakteur der Zeitung der KPD Rote Fahne und prägte eine ebenso falsche Parole gegenüber den Nationalsozialisten: „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“

Die Kommunistische Internationale gab die politische Richtung vor. Der VI. Weltkongress der KI legte im Jahre 1928 für die hochentwickelten Länder den unmittelbaren Kampf um die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, für die sozialistische Umwälzung und die Errichtung der Diktatur des Proletariats fest.

Natürlich ist es richtig für eine revolutionäre Partei, den Sozialismus als Ausweg aus der Misere zu propagieren und auf die Notwendigkeit der Revolution zum Erreichen dieses Zieles hinzuweisen. Aber die KPD hielt die Direktive der Komintern für eine Handlungsanleitung, der auf der Stelle Folge zu leisten wäre. Demgemäß sagte Thälmann, die Partei müsse die revolutionäre Situation organisieren. (thaelmann-band3 – thaelmann-band3.pdf Seite 59)

Als Ernst Thälmann diesen Satz auf dem Plenum der KPD im Januar 1931 sagte, regierte Heinrich Brüning von der Zentrumspartei mit Notverordnungen. (Nach Wikipedia sollen es insgesamt 109 gewesen sein.) Das lief so ab: Brüning legte dem Parlament seine Gesetze vor, die von diesem regelmäßig abgelehnt wurden. Diese Gesetze beinhalteten z.B. höhere und neue Steuern, Beitragserhöhung bei der Arbeitslosenversicherung, dafür Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Sozialfürsorge, Kürzung von Lohn und Gehalt im öffentlichen Dienst und dann auch allgemeine Lohnkürzungen. Danach erließ Brüning diese Gesetze in verschärfter Form als Notverordnung. Die SPD machte diese Farce von Parlamentarismus brav mit und ließ sich als Feigenblatt gebrauchen. Ihr Argument war, dass sie eine Auflösung des Reichstages verhindern wollte, weil sie befürchtete, dass bei einer Neuwahl die Nationalsozialisten an die Macht kommen würden. (Diese angebliche Furcht vor den Rechten kommt merkwürdig bekannt vor.)

Durch das ganze Land hätte ein Sturm der Entrüstung über diese Notverordnungen fegen müssen. Aber es geschah wenig. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Konkurrenzkampf der Arbeiter untereinander hatten den Kampfeswillen gelähmt. Anfang 1931 streikten die Bergarbeiter im Ruhrgebiet gegen die Entlassungen von 295.00 Kollegen. Berliner Metallarbeiter gingen gegen die Sparpolitik auf die Straße. Auch in Oberschlesien wurde gestreikt. Diese Kämpfe wurden von Thälmann umgedeutet in Tendenzen, bzw. Elemente des revolutionären Aufschwungs.

Thälmann rief die Partei dazu auf, durch die volle Entfaltung der Kampfkraft der Massen die revolutionäre Entwicklung zu beschleunigen und nach Ausmerzung der Überreste der bürgerlichen Ideologie und mit der dem Kapitalismus überlegenen Sowjetunion im Rücken die strategische Hauptaufgabe zu lösen: Die Gewinnung der proletarischen Mehrheit für den Kampf um die Eroberung der politischen Macht, den Kampf um die Diktatur des Proletariats!

Nun ist es aber so, dass Revolutionen sich nicht herbeiwünschen, nicht dekretieren und auch nicht durch den Willen einer Minderheit herbeiführen lassen. Da hatte Rosa Luxemburg durchaus recht. Eine Revolution hätte den Faschismus verhindern können. Aber dazu müssen die Menschen bereit sein. Wenn sie das nicht sind, hilft alle Propaganda nichts.

In dieser Situation, wo die Gefahr des Faschismus immer größer wurde und eine Revolution nicht in Sicht war, hätte man alle Kräfte anstrengen müssen, um den drohenden Faschismus abzuwehren. Das heißt, auch Bündnisse mit der ungeliebten SPD auf Führungsebene einzugehen, bzw. sie zumindest anzustreben, um die SPD-Führung unter größtmöglichen Druck zu setzen.

Einheitsfrontangebote seitens der SPD-Führung wurden aber von der KPD rundweg als Manöver abgelehnt. Thälmann sagte dazu:

Ein solches Manöver war das sogenannte „Einheitsfrontangebot“ Breitscheids in seiner Darmstädter Rede, das vom „Vorwärts“ und der übrigen SPD-Presse sofort aufgegriffen wurde und heute schon wieder längst vergessen ist, weil wir es rasch und radikal entlarvten.“ (ZK der KPD – Ernst Thälmann – 19. Februar 1932, die Plenartagung fand vom 20.-23. Februar statt)

Anstatt die Sozialdemokratie beim Wort zu nehmen, auf Angebote einzugehen und einen gemeinsamen Kampf voranzutreiben, wurden die Angebote von vornherein als unaufrichtig abgelehnt. Leichter hätte man es der SPD nicht machen können. Wenn man die SPD beim Wort genommen und sie nicht dazu gestanden hätte, wäre eine Entlarvung viel effektiver und für die Massen verständlicher gewesen. So wäre man im Kampf um die Massen einen großen Schritt voran gekommen.

Für die KPD war nicht nur die SPD faschistisch. Auch die Regierungen vor 1933 waren für sie schon faschistisch:

Die Regierung Brüning ist in ihrer jetzigen Entwicklungsphase die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur. Gegen sie und alle ihre Hilfskräfte müssen wir den schärfsten Kampf der Massen führen!“ (Volksrevolution über Deutschland, Rede von Ernst Thälmann auf dem Plenum des ZK der KPD vom 15.-17.Januar 1931). thaelmann-band3 – thaelmann-band3.pdf Seite 63

Die nachfolgenden Regierungen von Papen und Schleicher waren ebenfalls faschistische Regierungen. Das alles war zwar die nackte Diktatur der Bourgeoisie, aber erst das, was 1933 mit brutaler Gewalt über Deutschland hereinbrach, war eine faschistische Diktatur.

In seiner Rede am 20. Februar 1932 rief Ernst Thälmann auch zum schärfsten Kampf gegen die Überreste des Luxemburgismus auf:

Rosa Luxemburgs Fehler in der Akkumulationstheorie, in der Bauernfrage, in der nationalen Frage, in der Frage des Problems der Revolution, in der Frage der proletarischen Diktatur, in der Organisationsfrage, in der Frage der Rolle der Partei bzw. der Spontaneität der Massen – das alles ergibt ein System von Fehlern, die Rosa Luxemburg nicht zur vollen Klarheit eines Lenin aufsteigen ließen.“ (ZK der KPD – Ernst Thälmann – 19. Februar 1932)

Er spricht sogar davon, dass jeder Versuch zur Erneuerung des Luxemburgismus und jeder Überrest des Luxemburgismus niemals eine Brücke zum Marxismus-Leninismus bilden kann, sondern stets einen Übergang zum Sozialfaschismus, zur Ideologie der Bourgeoisie, wie wir es am besten bei den Brandleristen sehen, bilden würde.

Hier wird die große Keule herausgeholt und Rosa Luxemburg mit dem Totschlagsargument Sozialfaschismus in eine konterrevolutionäre Ecke gestellt. Dabei hat ihr die Geschichte in allen Punkten (die Akkumulationstheorie einmal ausgenommen) recht gegeben. Es war die KPD, die aufgrund einer massiven Beeinflussung durch die KPdSU eine falsche Politik betrieb, die sich bitter rächen sollte. Und das nicht etwa nach dem Tod von Lenin, nein, Lenin selber hatte mit seiner Position in diesen Fragen die Weichen in die falsche Richtung gestellt.

Eine kommunistische Partei kann keinen nationalen Kurs fahren. Der Feind der Arbeiterklasse ist das Kapital, und zwar überall auf der Welt. Ihre Freunde sind die Ausgebeuteten auf der ganzen Welt. Und so muss eine kommunistische Partei immer eine internationalistische Partei sein. Eine Unterstützung jedweder nationalen Interessen kann es für sie nicht geben.

Die KPD sah die deutsche Arbeiterklasse doppelt ausgebeutet: einmal durch die einheimische deutsche Bourgeoisie und zweitens durch die internationale Bourgeoisie, die sich mit Hilfe des Versailler Vertrages, des Dawes- und Young-Planes bereichert. (Wobei Ernst Thälmann von einer stattfindenden Überfremdung des deutschen Kapitals durch das internationale Kapital spricht.) Auf der Grundlage der Zweiteilung des Kapitals wird dann folgerichtig die These der nationalen Befreiung vom internationalen Kapital aufgestellt.

Man kann für Deutschland speziell sagen, daß hier die Anwendung der Losung Volksrevolution besonders zweckmäßig ist, weil auf Grund der nationalen Unterdrückung des werktätigen deutschen Volkes durch das Versailler System und den räuberischen Young-Plan diese Aufgabe der Gewinnung und Herüberziehung von Verbündeten für das Proletariat und der Neutralisierung der übrigen Mittelschichten erleichtert wird. (ZK der KPD – Ernst Thälmann – 19. Februar 1932)

Der in der Verbannung lebende Trotzki kritisierte: Natürlich ist jede große Revolution eine Volksrevolution oder nationale Revolution in dem Sinne, dass sie alle lebensfähigen und schöpferischen Kräfte der Nation um die revolutionäre Klasse schart, die Nation um einen neuen Kern herum organisiert. Aber das ist keine Kampfparole, sondern eine soziologische Beschreibung der Revolution, die ihrerseits genaue und konkrete Begriffe erfordert. „Volksrevolution“ als Slogan ist eine Leerformel, Scharlatanerie; macht man den Faschisten auf diese Art Konkurrenz, so ist der Preis, dass man die Köpfe der Arbeiter mit Verwirrung erfüllt. (Leo Trotzki: Gegen den Nationalkommunismus. Lehren des »Roten« Volksentscheids)

Die Losung der Volksrevolution lullt das Kleinbürgertum ebenso wie die breiten Massen der Arbeiter ein, versöhnt sie mit der bürgerlich-hierarchischen Struktur des „Volkes“ und verzögert ihre Befreiung. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland verwischt die Losung einer „Volksrevolution“ die ideologische Demarkation zwischen Marxismus und Faschismus und versöhnt Teile der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums mit der faschistischen Ideologie, da sie ihnen gestattet zu glauben, dass sie keine Wahl treffen müssen, wenn es doch in beiden Lagern um eine Volksrevolution geht. (Leo Trotzki: Gegen den Nationalkommunismus. Lehren des »Roten« Volksentscheids)

Die sarkastische Antwort des Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid auf den Antrag der KPD im Reichstag zeigt deutlich die Irrungen und Verwirrungen in der nationalen Frage:

Sie beantragen, dass alle privaten Schuldverpflichtungen an das kapitalistische Ausland annulliert werden. Die Kapitalisten, Großbanken und Großunternehmer, werden bereit sein, Ihnen eine Dankadresse zu überreichen. Sie stellen sich schützend vor die kapitalistischen Schuldner, die leichtsinnig, leichtfertig Geld aufgenommen haben, das sie nicht zurückzahlen möchten. Die Kommunistische Partei kommt und streicht mit einem Federstrich die Schulden der Kapitalisten. Ich muss schon sagen: eine größere Selbstaufopferung haben wir auch bei der Kommunistischen Partei noch nicht erlebt.“ (weimarer republik – uhr)

Folgerichtig wanderte eine beträchtliche Zahl von Mitgliedern irritiert zu anderen Parteien ab. Andererseits erhielt die KPD aber auch Zulauf aus der NSDAP. Darunter waren solche Leute wie der ehemalige Reichswehroffizier Richard Scheringer, der seine antisemitischen und nationalistischen Überzeugungen mit dem Übertritt aber nicht abgelegt hatte. (siehe auch: [rru] Die KPD und der Nationalismus)

Die KPD begab sich in einen zunehmenden Konkurrenzkampf mit der NSDAP, wer denn die Partei sei, die die nationalen Interessen besser vertritt. Es war ja nicht falsch, dass Walter Ulbricht am 27. Januar 1931 im Saalbau am Friedrichshain in Berlin mit Göbbels zusammen aufgetreten ist, wenn das Ganze auch in einer Saalschlacht endete. Entscheidend ist immer der Kampf um die Köpfe.

Es war auch nicht falsch, dass Kommunisten zusammen mit Nationalsozialisten den Streik bei der BVG in Berlin organisiert hatten. Ein Revolutionär muss im Betrieb mit jedem zusammen arbeiten, wenn es um den Kampf gegen Lohnraub geht, und wenn es nur 2 Pfennige sind. Wie wichtig das ist, zeigt Hitlers Antwort auf den Vorwurf des Reichspräsidenten Hindenburg: „Die Leute sind sehr erbittert. Wenn ich meine Leute von der Beteiligung abgehalten hätte, hätte der Streik doch stattgefunden, aber ich hätte meine Anhänger in der Arbeiterschaft verloren, das wäre auch kein Vorteil für Deutschland.“ Daher gab »die Parteiführung grünes Licht für die Beteiligung der NSBO am BVG-Streik“. (Die KPD und das Ende der Weimarer Republik) Man muss dann aber auch jede Unehrlichkeit und jedes politische Manöver seitens der mitwirkenden Parteien entlarven.

Es war aber grundfalsch, dass die KPD den von den Nazis beantragten Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages 1931 unterstützt hat, der den Sturz der Koalitionsregierung in Preußen zum Ziel hatte. (Preußen war in der Weimarer Republik ein Freistaat, in dem bis 1932 eine sozialdemokratisch geführte Koalition unter Otto Braun regierte, was den Nazis ein Dorn im Auge war.) Thälmann und die Mehrheit des ZK waren anfänglich gegen die Unterstützung des Volksentscheides, weil sie richtigerweise davon ausgingen, dass das nur den Nazis nützen würde. Aber das Mitglied des ZK Heinz Neumann nahm hinter dem Rücken des ZK Kontakt mit dem EKKI auf und überzeugte es von der Notwendigkeit der Unterstützung dieses Volksentscheides. Das EKKI verpflichtete daraufhin die KPD zur Teilnahme am Volksentscheid. Die Mehrheit des ZK fügte sich aus Parteidisziplin (was für Kommunisten ein Ding der Unmöglichkeit ist. Kommunisten sind keine Befehlsempfänger von irgendwelchen Vorgesetzten). Der Volksentscheid scheiterte. Die KPD verlor massiv an Vertrauen bei sozialdemokratischen Anhängern und sonstigen Oppositionellen.

Als dann am 20. Juli 1932 die preußische Regierung vom Reichskanzler Franz von Papen mit einem Staatsstreich (Preußenschlag) abgesetzt wurde, gab die SPD kampflos auf und übergab somit 90.000 preußische Polizisten an die Reaktion. Die Braun-Regierung blieb zwar als Hoheitsregierung weiter im Amt, aber die tatsächliche Macht lag bei der Kommissarsregierung unter Franz Bracht.

Andererseits versuchte die KPD ganz konkret, die Massen der Erwerbslosen und der Bauern stärker in den Kampf mit einzubeziehen. Sie veröffentlichte 1931 zwei Dokumente: einen Arbeitsbeschaffungsplan und ein Bauernhilfsprogramm.

Im Arbeitsbeschaffungsplan wurde für Millionen Erwerbslose Möglichkeiten nützlicher Arbeit nachgewiesen, es wurden die Kosten und die notwendige Arbeitskräftezahl genau berechnet und auch Vorschläge zur Finanzierung unterbreitet.

Im Bauernhilfsprogramm wurde eine Reihe von Forderungen aufgestellt, deren Erfüllung die Lage der werktätigen Bauern sofort erleichtert hätten. So wurde gefordert, dass die auf 5 Milliarden Reichsmark geschätzten Schulden der kleinen und mittleren Bauern ganz oder teilweise niedergeschlagen, die Pachten gestrichen und die Getreide- und Futtermittelzölle aufgehoben werden sollen. Die Steuerlast für die Klein- und Mittelbauern sollte gesenkt und die 2,5 Milliarden Reichsmark Osthilfe, die dazu dienten, die Großgrundbesitzer zu subventionieren, zur Unterstützung der werktätigen Bauern verwendet werden. Außerdem sollten die Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet und deren Boden für die landarmen Bauern bereitgestellt werden.

Erst im Mai 1932, als die faschistische Gefahr immer größer und konkreter wurde, rief die KPD zur Antifaschistischen Aktion auf:

Die Antifaschistische Aktion soll alle Formen des proletarischen Massenwiderstandes gegen Faschismus, Hunger und Krieg zusammenfassen und zum aktiven Massenkampf entfalten. Sie soll uns die feste Organisierung einer Millionenbewegung der kämpfenden roten Einheitsfront ermöglichen. Sie soll darüber hinaus der Partei erleichtern, die Massen zum Kampf gegen jeden kapitalistischen Weg aus der Krise zu sammeln und zum Kampf für den revolutionären Ausweg, für die proletarische Revolution, vorzubereiten. thaelmann-band4 – thaelmann-band4.pdf Seite 101

Jetzt endlich wurde versucht, die Einheitsfront nicht nur von unten herzustellen, sondern auch auf der Ebene der sozialdemokratischen Organisationen. Und die KPD gab die Vorbedingung auf, dass die anderen Antifaschisten die Ziele der KPD und die führende Rolle der Partei anzuerkennen hatten.

Thälmann sagte dazu: Die Frage, ob wir – im Interesse einer verstärkten Herstellung der Einheitsfront von unten in den Massen zum gemeinsamen Kampf – gleichzeitig Spitzenangebote an die führenden Instanzen der SPD, des ADGB usw. richten, hängt von zwei entscheidenden Voraussetzungen ab: erstens muss in den Massen die Mobilisierung für die Herstellung der gemeinsamen Kampffront bereits einen solchen Grad angenommen haben, dass ein Spitzenangebot von unserer Seite einen wirklichen Widerhall unten bei den Anhängern der SPD oder der Mitgliedschaft der Organisationen des ADGB auslöst; zweitens muss durch die gegebenen konkreten Bedingungen die Sicherheit bestehen, dass unser Herantreten an die oberen Instanzen bei der Masse der sozialdemokratischen Arbeiter und parteilosen Arbeiter den Willen zu selbständigen Schritten bei der Herstellung der proletarischen Einheitsfront zum Kampf gegen den Faschismus nicht abschwächt, nicht ihre Aktivität in ein gewisses Abwarten verwandelt, „ob die da oben sich wohl einigen werden“, sondern im Gegenteil die Masseninitiative von unten verstärkt. thaelmann-band4 – thaelmann-band4.pdf Seite 97

Welche konkreten Aufgaben ergeben sich im wesentlichen somit für unsere Partei?

1. Wir müssen den Massenkampf gegen die Papen-Regierung, gegen die faschistische Hungeroffensive der Bourgeoisie auf breitester Grundlage entfesseln und zur Entfaltung bringen. Ökonomische Streiks, Erwerbslosenaktionen, Mieterstreiks, Massenkämpfe zur Verteidigung der Sozialversicherung, gegen Steuerwucher, gegen Zwangsversteigerungen und Exmittierungen, darüber hinaus die konkrete Vorbereitung und Auslosung von politischen Massenstreiks und schließlich der Generalstreiks in ganzen Bezirken oder selbst im Reichsmaßstabe – das ist die Linie der Kämpfe, die wir zustande bringen müssen. Durch diesen Massenkampf allein können wir die weitere faschistische Entwicklung aufhalten.

2. Wir müssen den Hitlerfaschismus zurückschlagen. Auch das kann nur auf der Linie der Führung des Massenkampfes der Arbeiterklasse und der Werktätigen geschehen. Die breiteste Organisierung des Roten Massenselbstschutzes ist von allergrößter Wichtigkeit. Es gibt keine Konzessionen an die falschen und gefährlichen Tendenzen des individuellen Terrors, die zumeist der Klassenfeind selber in die Reihen der revolutionären Arbeiterklasse provokatorisch einzuschmuggeln versucht. Es gibt erst recht nur den schärfsten Kampf gegen alle Kapitulations- und Panikstimmungen, wie sie von sozialdemokratischer Seite im Proletariat gezüchtet werden. thaelmann-band4 – thaelmann-band4.pdf Seite 99

Die herrschende Klasse beobachtete die Veränderungen sehr genau. Das Reichsinnenministerium erstellte äußerst interessante Lageberichte:

Der Lagebericht Nr. 12 vom 28. Juni (1932) untersucht die zunehmenden kommunistischen Aktivitäten im Zeichen der „Antifaschistischen Aktion“: Wo überall eine genauere Beobachtung möglich ist, stellt man stets das Gleiche fest: Kommunisten, Mitglieder des Kampfbundes gegen Faschismus, Reichsbannerleute und sonstige Sozialdemokraten haben einen Kurierdienst eingerichtet, der ihnen das Herannahen nationalsozialistischer Propagandatrupps anzeigt und ‚Selbstschutzformationen‘ mobilisiert. Mitglieder der SPD oder der SAP, Gewerkschaftskartelle. Betriebsräte beider Parteien (SPD und KPD) usw. usw. rufen zur Bildung der Einheitsfront auf. Bei blutigen Zusammenstößen mit Nationalsozialisten, z.B. auch bei den Zwischenfällen am Vorwärts-Gebäude wird noch regelmäßig, trotz der Gegnerschaft beider marxistischer Parteien untereinander, die Einheitsfront praktisch hergestellt, und nicht selten sind es gerade die Kommunisten, die am schnellsten und am rührigsten bei der Sache sind. Versammlungen werden abgehalten, in denen die Methoden eines Zusammengehens der Arbeiterparteien erörtert, Antifaschistische Einheitskomitees oder Selbstschutzstaffeln gegründet werden: Die Diskussionen um die Herstellung der Einheitsfront, auch auf höherer Ebene, nehmen immer mehr zu.

… Man gewinnt aber aus den Vorgängen der letzten Tage doch das Gefühl, dass im Grunde die SPD die ablehnendere Haltung gegen solche Einheitsfrontbestrebungen einnimmt. Wir wissen, dass noch nach der Zurückweisung des Berliner Einheitsfrontangebotes von seiten der KPD Versuche gemacht werden, interne Besprechungen mit maßgebenderen Sozialdemokraten in Gang zu bringen, deren Zweck nicht nur die ‚Entlarvung‘ der sozialdemokratischen Führer vor der Öffentlichkeit bei der erwarteten Ablehnung des kommunistischen Angebotes ist. Bisher sind aber diese Bemühungen ohne Erfolg geblieben, u. zw. auch deshalb, weil wie gesagt, die SPD sich ablehnend verhält. Sie möchte offensichtlich nicht, bevor sich nicht die innenpolitische Entwicklung ganz klar übersehen lässt, die Möglichkeiten eines früher stets bewährten Zusammenwirkens mit Mittelparteien zerschlagen… Vereinzelt haben sogar sozialdemokratische Unterführer die Kommunisten für gefährlichere Gegner als die NSDAP bezeichnet und die Möglichkeit eines Zusammengehens von Reichsbanner mit SA und Polizei gegen die Kommunisten angedeutet.

Im Lagebericht Nr. 13 vom 16. Juli (1932) heißt es: Der Parteivorstand der SPD hat entsprechend seiner von taktischen Gründen diktierten vorsichtigen Haltung (s. Lagebericht Nr. 12)… in einem Aufruf vom 28. 6. ausdrücklich gegen die von der KPD empfohlenen und auch jetzt noch angestrebten lokalen Verhandlungen ausgesprochen, ja, diese ausdrücklich verboten… Erfolg versprechende Verhandlungen könnten nur von den zentralen Parteileitungen geführt werden. Weil aber die KPD sich mehrfach grundsätzlich und eindeutig gegen solche zentralen Verhandlungen ausgesprochen hat, bestätigt dieses Rundschreiben unsere Vermutung, dass die SPD im Grunde diese auch formale Einheitsfront nicht wünscht. Sie geht sogar so weit, dass sie Funktionäre, Ortsgruppenvorsitzende usw., die sich trotzdem in lokale Verhandlungen mit der KPD einließen, entweder aus der Partei ausschließt oder veranlasst, ihre gegebene Zustimmung zur Teilnahme an Einheitsfron-Komitees oder Aktionen zurückzuziehen.

… Andererseits erklären kommunistische Führer und Redner immer wieder… Die KPD wolle lediglich diese Einheitsfront aufstellen. Sie wolle lediglich mit allen Arbeitern gemeinsam gegen den Faschismus kämpfen, den roten Massenselbstschutz schaffen, gegen die Notverordnungen der Regierungen den gemeinsamen Massenkampf aller Arbeiter einsetzen, d.h. als wirkungsvollste Kampfmaßnahme den politischen Massenstreik organisieren.

… Während aber die beiderseitigen Führer sich aus diesen durchsichtigen Gründen immer mehr auseinander reden, stellen die Massen und auch sogar die lokalen Führer die Einheitsfront in immer größerem Ausmaße praktisch her, wobei sowohl die entgegenkommendere Taktik der KPD wie auch die sich immer mehr steigernde und dem kommunistischen Ton nähernde sozialistische Agitation entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen haben. (Schriften des Historischen Kollegs – Kolloquien 26 – Kolloquien26.pdf Seite 92 ff.)

Obwohl in manchen Einschätzungen im World Wide Web die Antifaschistische Aktion als wenig bis gar nicht erfolgreich dargestellt wird, schätzt der Historiker Joachim Petzold ein, dass sie eine beachtliche Resonanz gefunden hatte (Schriften des Historischen Kollegs – Kolloquien 26 – Kolloquien26.pdf Seite 94). Wenn in den Lageberichten vielleicht die Gefahr der Vereinigung der Arbeiterklasse übertrieben wird, so wird deutlich, dass die herrschende Klasse Angst davor hatte, dass es dazu kommen könnte. Und das bestimmte ihr Handeln. Sie hievte die Partei an die Regierung, die ca. drei Monate vorher, am 6. November 1932 bei den Reichstagswahlen eine große Schlappe erlebt hatte. Die NSDAP erhielt 2 Millionen Wählerstimmen weniger als im Juli 1932.

Wie heldenmütig die Antifaschisten, Kommunisten und Sozialdemokraten auch kämpften; als es am 30 Januar 1933 darauf ankam, lehnte es die sozialdemokratische Führung ab, zum Generalstreik aufzurufen. Sozialdemokratische Arbeiter warteten auf dieses Signal, aber sie warteten vergeblich. Die Änderung der Politik der KPD gegenüber der SPD, die ja auch noch bis zuletzt ein Zick-Zack-Kurs war, kam zu spät. Sie konnte das Geschehene nicht so schnell vergessen machen.

Die Machtübergabe ging beileibe nicht geräuschlos über die Bühne. In vielen Teilen Deutschlands schlossen sich Arbeiter und andere Werktätige zum entschiedenen Kampf gegen das Hitlerregime zusammen. In Berlin kam es zu Straßenschlachten, in zahlreichen großen Städten fanden am 30. und 31. Januar machtvolle Aufmärsche und Kundgebungen statt. In einigen Städten kam es auch zu Streiks. Aber all das reichte natürlich nicht, um den Faschismus zu verhindern. Der zu diesem Zeitpunkt erfolgten vollständigen Vereinigung von bewaffneter Staatsmacht und nationalsozialistischen Schlägerbanden konnte nur eine vereinte Arbeiterbewegung Paroli bieten, wie z.B. zu Zeiten des sog. Kapp-Putsches.

Die SPD hatte nichts Besseres zu tun, als in großen Massenkundgebungen ihre Mitglieder zur Besonnenheit und Disziplin aufzurufen und dringend davor zu warnen, sich zu Gewaltakten oder Streiks provozieren zu lassen. Sie stellte sich auf den Boden der Verfassung und vertröstete auf die nächsten Wahlen. Heute hat die SPD mit der Arbeiterbewegung nichts mehr zu tun. Aber der Reformismus ist nicht tot. Es gibt immer wieder reformistische Strömungen wie die Partei Die Linke oder die Bewegung Aufstehen, die die Rolle der Sozialdemokratie übernehmen.

Die KPD hatte zum Generalstreik aufgerufen, war aber allein nicht in der Lage, diesen Aufruf in die Tat umzusetzen. Sie hatte 1932 zwar ca. 300.000 Mitglieder und gewann bei den Wahlen im November 1932 6 Millionen Wählerstimmen. Aber aufgrund der systematischen Eliminierung von kommunistischen Arbeitern und revolutionären Gewerkschaftern aus den Betrieben verlor die KPD dort ihren Einfluss. Im Oktober 1930 war noch jedes dritte Mitglied der KPD im Betrieb tätig, im März 1931 nur noch jedes vierte und Ende 1932 gar nur noch jedes neunte. Und der größte Teil der Facharbeiter war eben in der SPD organisiert. Die KPD hatte großen Einfluss bei den Erwerbslosen. Sie wurde sogar schon als Partei der Arbeitslosen verspottet. Aber mit Erwerbslosen lässt sich kein Massenstreik gegen den Faschismus machen.

Und so kann man rückblickend nur feststellen: Die SPD-Führung wollte den Faschismus nicht verhindern. Die KPD konnte es nicht, weil sie sich durch katastrophale Fehleinschätzungen den Weg zu den Massen verbaut hatte.

Bleibt nur noch, die Frage zu stellen, warum sich die KPD von der KPdSU und der Komintern so stark hat beeinflussen lassen: Der Name Sozialismus hatte damals noch einen guten Klang, mit dem viele Hoffnungen der Arbeiter verknüpft waren. Diejenigen, die es geschafft hatten, eine sozialistische Revolution durchzuführen, genossen hohes Ansehen und Vertrauen bei den Kommunisten weltweit. Meldungen, die nicht ins Bild passten, z.B. über Hunger und Aufstände schob man auf die ausländische Intervention, die Konterrevolution im Land und auf unvermeidliche Fehler eines noch jungen sozialistischen Staates. Dazu kam die hohe Akzeptanz des von Rosa Luxemburg heftig kritisierten Leninschen Ultrazentralismus. Der zentralistische Aufbau aber macht es leicht, eine bestimmte Politik durchzusetzen, mag sie nun richtig sein oder falsch. All das machte sich die Führung der KPdSU unter Stalin zunutze, um ihre falsche Linie durchzudrücken, einer Linie, die letztendlich nur zur Befestigung der eigenen Macht diente und nicht der Weltrevolution. (Im spanischen Bürgerkrieg wird die konterrevolutionäre Rolle der KPdSU sehr deutlich. Dazu erscheint auch noch ein Beitrag auf dieser Seite)

So konnte das geschehen, was sich die deutschen Konzernherren von den Nationalsozialisten erhofft und warum sie ihnen die Regierungsgewalt übertragen hatten:

Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, die Auflösung ihrer Parteien, furiose Wiederaufrüstung, Vorbereitung und Durchführung des nächsten Krieges, Ablenkung von den kapitalistischen Monopolen und Oligopolen als dem tatsächlichen Feind.

Der deutsche Faschismus war eine Symbiose zwischen den Herren von Chemie, Kohle und Stahl, der Rüstungsbetriebe, der Banken und Versicherungen, die eine Diktatur brauchten, um ihre Ziele der Erweiterung ihres Machtbereiches, der Unterwerfung anderer Völker und Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte, sowie Ausplünderung ihrer Ressourcen durchzusetzen auf der einen Seite; und auf der anderen Seite den Nationalsozialisten, die dieser Diktatur eine Massenbasis verschaffen konnten, indem sie mithilfe ihrer Ideologie die mittleren und unteren Schichten des national gesinnten Bürgertums und auch die durch Arbeitslosigkeit verelendeten und demoralisierten Teile der Arbeiterschaft gewinnen und begeistern konnten. Die Bourgeoisie wird immer versuchen, die Massen hinter ihren nationalen Fahnen zu versammeln, auch wenn man dazu eine europäische Nation ins Leben rufen müsste.

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