2018 Wohnmobiltour – Ostsee-Nordsee-Holland-Belgien-Frankreich

Es ging alles mal wieder holterdipolter. An dem Tag, an dem ich fahren wollte, fing ich an zu packen. Na ja, fehlende Kleinigkeiten kann man unterwegs einkaufen.

Um 13 Uhr fuhr ich los. Um 17 Uhr erreichte ich den Schweriner See, um mich gleich auf dem Campingplatz Seehof in die kühlen Fluten zu stürzen. 15 bis 16 Grad. Es war zwar fantastischer Sonnenschein, aber das Wasser hatte sich noch nicht sehr erwärmt. Es war Ende Mai und die Temperaturen angenehm. Die wahnsinnige Jahrhunderhitze kam später. Das Abendessen in der Camping-Gaststätte verbrachte ich mit einem älteren Ehepaar aus Schleswig. Angesprochen, ob sie schon im Wasser gewesen seien, meinte sie: „Wir sind Norddeutsche, wir machen so was nicht.“ Sie war etwas wortkarg, er war gesprächiger und bedankte sich auch noch am Ende für die nette Unterhaltung. Abends wurde es recht frisch. Also war ich froh, dass ich mich in mein von der Sonne aufgeheiztes Wohnmobil zurückziehen konnte.

Am nächsten Tag ging es mit dem Fahrrad ca. 8 km nach Schwerin. Schöne Altstadt. Sehr schönes Schloss, das es sich zu besichtigen lohnt. Wie es sich gehört für ein Schloss, hat es auch seinen Schlossgeist, das Petermännchen. Der Zwerg, ausgerüstet mit Laterne, Schwert und Schlüsselbund, soll Diebe und Eindringlinge mit Plagen, Späßen und nächtlichem Poltern bestraft und in die Flucht getrieben haben. Er soll auch Wallenstein, den Schlächter im 30-jährigen Krieg im Auftrag des Kaisers und der Katholischen Liga, während seiner ersten Nacht im Schloss Schwerin so arg gepiesackt haben, dass der General am nächsten Morgen vollkommen übernächtigt wieder abreiste und Schwerin nie wieder betrat.

Es gibt zumindest in der Altstadt noch hübsch gemachte Einzelhandelsgeschäfte ohne die sonst üblichen Ketten. Das gilt allerdings nicht für die Lebensmittel. Mit den Preisen der Ketten können die Lebensmittelhändler nicht mithalten. Ein Polizeiorchester spielte Swing auf dem Marktplatz. Vor einem Bäcker-Café mit Selbstbedienung saß 3 Tische weiter ein mittelalter Mann, der mich gleich in ein Gespräch verwickelte. Und da sage noch einer, die Norddeutschen wären zurückhaltend und maulfaul. Er käme jede Woche einmal aus einem Ort in 35 km Entfernung nach Schwerin. Er hatte schon ein ziemliches Bäuchlein und deswegen müsse er aufpassen. Wenn er nur ein Stück Süßes ist, kann er nicht mehr aufhören. Dann müssen mehrere Stück Kuchen oder Portionen Eis dran glauben. Später setzte sich noch eine ehemalige Berlinerin zwischen uns, die gleich ins Gespräch hinein gezogen wurde. Von ihr habe ich dann noch ein paar Tipps bezüglich Schweriner Sehenswürdigkeiten bekommen.

Der Mittagstisch im Lukas war sehr gut: Rotbarsch mit Kartoffeln und Lauch-Paprika-Gemüse. Besonders die Kartoffeln waren lecker.

Im sehenswerten Schlosspark war zwar Fahrradfahren nicht erlaubt, aber das Verbotsschild habe ich gar nicht wahr genommen. Einem älteren Herrn hat das nicht gefallen: „Draußen steht ein Schild, Fahrradfahren verboten.“ Als ich nicht reagierte, fing er an zu toben: „Das heißt absteigen, aber los.“ Manche ältere DDR-ler können das Kommandieren halt nicht lassen.

Solche Stadt-und Schlossbesichtigungen machen müde. Es half aber alles nichts, ich musste die 8 km mit bissigen kleinen Steigungen ja noch zurück. Glücklicherweise fand ich mit Hilfe zweier freundlicher Polizisten den Fahrradweg, der eine ganze Strecke direkt am See entlang führt. Auf der Hinfahrt konnten mir die spärlichen Passanten keinen Hinweis geben. Nach Ankunft auf dem Campingplatz gleich wieder hinein ins kühle Nass, herrlich.

Die nächste Station war die alte Hansestadt Wismar. Ich hatte einen dicken Kopf und fuhr ziemlich unkonzentriert und rammte auch gleich einen Bordstein. Nach einem Kaffee bei Netto ging es dann besser. In Wismar stehen noch die alten Patrizierhäuser aus der Hansezeit. Die Altstadt von Wismar gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Am Marktplatz hatte es Ende April einen Großbrand gegeben. Der Brand hielt die Einsatzkräfte zwei Tage lang in Atem – aufgrund der Bausubstanz mit viel Holz und Stroh in den Zwischendecken entfachte sich das Feuer immer wieder neu. Die Feuerwehr musste das Dach des Giebelhauses aufschneiden und das Gebäude mit Schaum fluten, um den Flammen den Sauerstoff zu nehmen. Es schauten noch ein paar kaputte Fensterscheiben teilnahmslos auf mich und das Markttreiben herab. Schwarzer Ruß hatte sich oberhalb der Scheiben abgesetzt.

An Wismar fällt besonders auf, dass sich ein Café an das andere reiht. Solch eine Dichte habe ich vorher in keiner anderen Stadt gesehen. An einem Ende der Fußgängerzone entdeckte ich einen kleinen Laden. Innen drin ein Sammelsurium an Uhren, Batterien, alten Kameras und in die Jahre gekommenen Kleingeräten. „Batteriewechsel“ stand deutlich lesbar draußen. Wunderbar. Die Batterie für die Zeit- und Datumsanzeige meiner Canon-Kamera hatte sich nach vielen Jahren verabschiedet und ich wusste nicht, wo der Entwickler die Batterie versteckt hatte. Der freundliche ältere Herr hinter der Theke hatte es gleich heraus. Jetzt funktioniert die Anzeige wieder.

Am Hafen gab es Fischbrötchen und Bauernfrühstück. Die Möwen guckten gierig zu. Nachdem ich den Platz geräumt hatte, pickte eine Möwe gleich die übrig gebliebenen Reste des Fischbrötchens auf. Beim Bauernfrühstück kam ich mit einem Mann ins Gespräch. Tätowiert wie ein Seemann, war er aber ein Bauarbeiter. Er beneidete mich um meine Freiheit und Ungebundenheit, dort hinzufahren und anzuhalten, wo es mir gefällt. Er gab mir den Tipp, dass am Abend das Champions-League-Finale stattfindet.

So bin ich dann auf dem Campingplatz Boltenhagen gelandet. Bad Boltenhagen, dass dann auch gleich dazu berechtigt, Kurtaxe zu kassieren. Das Ostseewasser ist ohne Kurtaxe auch nicht anders als mit. Wärmer als der Schweriner See war es auch nicht. Nur die Wellen waren höher. Musik gab es dann abends noch gratis dazu, in erträglicher Lautstärke.

Ich wollte eigentlich in der Pause des Spiels schon wieder gehen, weil es in der ersten Halbzeit nicht besonders attraktiv war, aber mein Bierglas war noch nicht leer. Es wurde dann doch noch spannend. Real Madrid war die klar bessere Mannschaft. Der deutsche Torhüter von Liverpool Karius wollte sich nach seinen zwei krassen Fehlern am liebsten im Mauseloch verkriechen. Hinterher habe ich gelesen, das er sogar Morddrohungen bekommen hat. Das große Geld putscht Fans so auf, dass manche sogar bereit sind zu töten. Und das große Geld verführt auch die Spieler, ihre Kollegen zu attackieren. Solche Tätlichkeiten, wie sie der Verteidiger Ramos von Real Madrid an dem Stürmer von Liverpool Salah verübt hat, indem er ihm beim Fallen den Arm eingeklemmt hat, so dass der verletzt vom Feld musste, müsste gleich mit Platzverweis bestraft werden. Im normalen Leben würde so etwas als vorsätzliche Körperverletzung gelten. Auf dem Fußballplatz passiert dem Täter überhaupt nichts. Im Gegensatz dazu steht das Verhalten der Spieler in den Arbeiterfußballvereinen in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Vordergrund stand der gegenseitige Respekt und die Solidarität. Rempeleien und üble Angriffe auf den Körper des Gegenspielers waren verpönt. Es wurde ein schnelles körperloses Spiel bevorzugt. Der national-konservative DFB dagegen betrieb mit seinem Spiel Wehrertüchtigung statt Fairplay. Die Nationalsozialisten bereiteten dem fairen Spiel der Arbeiterfußballer ein jähes Ende. Die Vereine wurden verboten, das Vereinsvermögen eingezogen, also geraubt. Immerhin handelte es sich um zum größten Teil selbst geschaffene Sportanlagen und Vereinsheime im Wert von 25 Mio Mark (Arbeiterfußball in den 20er-Jahren – Vom Anspruch, den Gegenspieler zu respektieren). Nach dem Weltkrieg II bekam dann der bürgerliche DFB die uneingeschränkte Herrschaft über den Fußball. Mit dem großen Geld kam der Konkurrenzkampf, kamen die Rüpeleien, üble körperliche Attacken und die Hooligans, die den Krieg auf dem Rasen außerhalb der Stadien fortsetzten.

Ich stand im Wohnmobilhafen, also auf den billigeren Plätzen direkt an der Straße. Kostete aber auch 25 Euro. Nervend war nicht der Straßenlärm, sondern mein Nachbar aus Ülzen, der sein Autoradio die ganze Zeit laufen ließ. Zwar nicht laut, aber man hörte dabei nur die Bässe, bumm, bumm.

Morgens bin ich meistens noch nicht richtig da. So wollte ich, bevor ich gezahlt hatte, durch die Schranke. Ging natürlich nicht. Ich bin also nach links zurückgestoßen. Weil ich dachte, ich hätte genügend Platz, habe ich nicht groß aufgepasst. So habe ich einem Pärchen, das gerade beim Frühstück saß, einen Schock eingejagt, weil ich einen Meter vor ihnen zum Stehen kam. Wie gesagt: Morgens bin ich noch nicht richtig da.

So ging es dann auch weiter. Ob ich einfach nur gepennt habe und von der Hauptstraße abgekommen bin oder das tatsächlich der Hauptweg war: Jedenfalls tat sich zwischen Redewisch und Klütz die schlechteste Wegstrecke vor mir auf, die ich je gefahren bin. Schlagloch reihte sich an Schlagloch. Und keine kleinen Löcher, sondern zuweilen riesengroße und tiefe. Mein Sprinter schlingerte wie ein Schiff in wilder See.

Was Wismar an Cafés hat, hat Lübeck an Kirchen. Mindestens 24. Es gibt eine Raucherkneipe, die Gotteskeller heißt. Ich nehme an, Gott hat sich da noch nicht blicken lassen, eher der Teufel. Der sitzt nämlich schon vor der Marienkirche: Als man nämlich die Grundmauern dieser Kirche legte, nahm der Teufel an, dass ein Weinhaus gebaut werden sollte, was ihm gefiel. Er half beim Bau, so dass der schnell voranschritt. Als der Teufel aber erkannte, dass hier eine Kirche gebaut werden soll, holte er sich einen Felsbrocken und wollte damit die angefangene Kirche zerstören. Da rief ihm ein kecker Handwerker zu: „Haltet ein, Herr Teufel! Lasst stehn, was steht! Wir bauen euch dafür neben der Kirche der Weinhaus!“ Auf diesen Handel ließ sich der Teufel ein und ließ den Brocken gleich neben der Kirche fallen. Das Weinhaus wurde dann in Gestalt des Ratsweinkeller errichtet.

In Teilen hat sich Lübeck den Charme der alten Hansestadt bewahrt. Besonders der Marktplatz ist sehr hübsch. Das erinnert noch an das aufstrebende Bürgertum von damals, wie z.B das Buddenbrook-Haus. Auch die Bebauung an der Unteren und Oberen Trave ist sehr hübsch anzusehen. Je mehr man sich aber vom Zentrum entfernt, umso trister und eintöniger wird es: Behausungen für die ärmeren Teile der Bevölkerung.

Auf dem Campingplatz steht eine rot angestrichene Telefonzelle: Die rote Bücherzelle. Rote Bücher habe ich keine gefunden. Und so tauschte ich einen Roman über den Kampf der Harzschützen gegen die brandschatzenden, vergewaltigenden und mordenden Landsknechthorden im 30-jährigen Krieg von Otto Gotsche: Und sie haben nur den Zorn mit einem historischen Roman aus dem alten Ägypten.

Meine Brille nervte, sie musste gerichtet werden. Auf der Fahrt in die Stadt hatte ich einen Optiker gesehen gleich neben Aldi mit einem großen Parkplatz. Ich wollte 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen, aber ich fand weder den Optiker noch Aldi wieder. Dafür habe ich eine Fotografie von mir für 15 € bekommen. Dabei bin ich nur wenig über 60 kmh gefahren. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll und tippte den neuen Zielort Eckernförde ins Navi. Das führte mich prompt zuerst in eine Sackgasse und danach in die Irre. Zweimal musste ich umkehren, bis es mich richtig leitete.

In Eckernförde hatte ich meine Grundausbildung bei der Bundesmarine absolviert. Wie die Kaserne hieß, hatte ich aber schon wieder vergessen. Es war schließlich 50 Jahre her. Auf der Flucht vor meinem autoritären Vater hatte ich die erste beste Gelegenheit ergriffen, um das Elternhaus zu verlassen. Da kam ich dann vom Regen in die Traufe. Obwohl das Schleifen bei der Marine nicht so stark ausgeprägt war, wie bei den Stoppelhopsern (Infanterie). Und als wir nach der Grundausbildung zu Fernmeldern ausgebildet wurden, war es fast schon human.

Also rein in den Info-Punkt und nachgefragt. Carlshöhe hieß die Kaserne. Ein anderer Radfahrer geleitete mich die Anhöhe hinauf. Ich erzählte ihm diesen Abschnitt meiner Geschichte und dass ich nach der Grund- und der Spezialausbildung mit dem Schulschiff Ruhr einmal rund um Südamerika gefahren bin.

Die denkmalgeschützten Gebäude sind zwar noch da, aber sie haben einen anderen Inhalt bekommen. Es ist ein völlig neuer Stadtteil entstanden. Neue Wohnungen, auch ein Seniorenheim. Unternehmen und Künstler sind eingezogen. Aus der ehemaligen Wache, vor der ich damals auch gestanden bin, ist Café und Frisör geworden. Das ist eine Lösung, die mir viel besser gefällt.

Im Hafen auf dem Großsegler Roald Amundsen, der Segeltörns für Nichtsegler anbietet, wurden einige Landratten in die Grundkenntnisse der Segelkunst eingeweiht.

Ich fand dann in Karlsminde einen Campingplatz mit schöner Aussicht. Vor mir die Ostsee und im Rücken ein kleiner Binnensee. Herrlich!

Am nächsten Tag machte ich mich Richtung Husum auf. Die Landschaft wurde flach und eintönig. Die Felder sind Monokulturen. Raps wechselt sich mit Mais ab und umgekehrt. Nahe Husum gibt es sogar noch ein paar Kühe auf der Weide. Mein Nachbar Werner renoviert dort sein Häuschen. Und da wollte ich ihn anderthalb Tage von der Arbeit abhalten, damit er mal auf andere Gedanken kommt. Stolz zeigte er mir, was er schon geschafft hatte und was noch zu machen war. Einiges. So eine Renovierung kostet viel Zeit, Geld, Nerven und Kraft. Es war ziemlich heiß, was uns aber nicht davon abhielt, die 7 km nach Husum mit dem Fahrrad zu fahren. Im Ratskeller gab es einen hervorragenden Mittagstisch für 7,30 €. Danach noch ein schönes Eis in einem der Cafés am Hafen.

An der Dockkoogspitze standen 21 gestärkte Hosen wie Windfahnen im Wind. Die Künstlerin Julia Bornefeld nennt ihr Werk doppeldeutig Windhosen.

Auf der Hinfahrt hatten wir Rückenwind. Zurück war Gegenwind angesagt. Und der kann zuweilen ganz schön heftig sein. Abends musste ja unbedingt noch ein Guiness im Irish Pub getrunken werden. Das trieb mich dann nachts mehrmals auf die Toilette.

Für den nächsten Tag hatten wir uns eine etwas größere Radtour vorgenommen. Es ging ca. 18 km am Deich entlang zur Hamburger Hallig und es war wieder heiß. Zusätzlich war auch noch Ebbe. Schlick, so weit das Auge reicht, unterbrochen von Sielen. Abwechslungsreich ist die Landschaft nicht gerade. Topfeben mit ein paar Bäumen oder Sträuchern. Auf den Wiesen weiden die Schafe. Lämmer drängen sich dicht an ihr Muttertiere.

Im Restaurant auf der Hallig gab es den Klassiker: Lammbouletten. Werner meinte, dass das schon mal besser geschmeckt hätte. Die Hintour verlief ziemlich flott durch den Rückenwind. Auf der Rücktour mussten wir wieder größtenteils gegen den Wind ankämpfen. Da aber das Wasser wieder zurückgekehrt war, konnte man sich wenigstens darin abkühlen. Als Belohnung gab es dann den obligatorischen Cappuccino mit Kuchen im Hafen. Abends war ich so groggy, dass mit mir nicht mehr viel anzufangen war. Nur Tine habe ich noch auf die Platte gebannt:

Tine war eine alte Fischersfrau, die zur Winterszeit wegen Krankheit bei einem Fest am Strand als einzige zu Hause geblieben war. Als es Abend wurde, bemerkte sie, dass im Westen Wolken aufstiegen. Sie verstand sich auf Wind und Wetter. Es bedeutete Unwetter und Flut. Niemand am Strand hörte ihr Schreien. Die Flut kam. Immer schneller. So warf sie ein brennendes Holzscheit aus dem Ofen auf ihr Bett. Sofort brannte es lichterloh. Als die Husumer das Feuer sahen, rannten sie alle zum Häuschen der alten Fischersfrau. In dem Moment brach die Flut los. So hat Tine ihr Hab und Gut geopfert, um das Leben der Husumer zu retten. So lautet jedenfalls eine Version. Dafür steht jetzt ein Denkmal auf dem Marktplatz, allerdings mit einer jungen Tine.

Abends war auch schon wieder Ebbe. Die Schiffe lagen auf Grund. Der Schlick bildet zwar sonderbare Formen, aber er stinkt. Verstehen tu ich ja nicht, was an der Nordsee so anziehend ist. Wenn man schwimmen will, ist garantiert Ebbe. Der Schlick stinkt und pappt am Körper fest. Die Landschaft ist eintönig. Das einzige Plus: Man hat einen weiten Blick.

Am nächsten Tag wollte ich nach Cuxhaven. Aber es ging alles viel zu flott. Auf die Fähre über die Elbe bei Glückstadt brauchte ich nur eine Viertelstunde zu warten. Später weitete sich die Wartezeit auf anderthalb Stunden aus. Auf der Fähre waren 2 Motorradgangs, alles mittelalte bis ältere Herren. Die eine Gruppe wollte zum Bikertreffen nach Oostende in Belgien. Ein akkurat gekleidetes Motorradpärchen wollte auch auf die Fähre. Ihm wurde das Angebot gemacht, sich als Mitglied der Gruppe auszugeben, weil dann die Überfahrt billiger sei. Da wollte ich natürlich auch Mitglied der Gruppe werden. Als Versorgungsfahrzeug ginge das schon, sagte der eine. Aber der Versorger bezahlt die Überfahrt für die ganze Gruppe. Das musste ich dann doch dankend ablehnen. Von ferne strahlte das Atomkraftwerk Brokdorf herüber, das erst 2021 abgeschaltet werden soll.

Ich kam in der Mittagspause auf dem Campingplatz in der Nähe von Cuxhaven an. Die Rezeption war nicht besetzt. Also fuhr ich weiter um den Jadebusen. Auf dem Campingplatz Rennweide in der Nähe von Varel kam ich unter. Großer Campingplatz mit einer sanitären Anlage am anderen Ende. Schwimmen ging nicht, weil wieder Ebbe. Also einmal duschen für 80 Cent. Kein Platz, um länger zu verweilen. Abends stellten noch 3 jüngere Leute aus Konstanz ihr Zelt neben mein Wohnmobil. Sie waren mit dem Auto unterwegs. Ich erzählte ihnen, dass ich in ihrem Alter mit Fahrrad und Zelt durch viele europäische Länder gefahren bin. „Kuhl“ war die Antwort.

Von dort aus war es nicht mehr weit zur holländischen Grenze. Beim Cappuccino im Café in Bünde fragte ich, ob das Benzin in Holland billiger wäre. Es wurde mir gesagt, dass die Holländer extra nach Deutschland kommen würden, um zu tanken. Also tankte ich in Bünde für teures Geld. Später am Ijsselsee stellte ich fest, dass der Diesel dort sogar 2 Cent billiger war als in Bünde.

Die Sonne versteckte sich zusehends hinter den Wolken. Es wurde angenehm frisch. Ich fuhr von der Autobahn ab, öffnete Fenster und Dachluken und legte mich auf einem Parkplatz an einer wenig befahrenen Straße aufs Ohr. Sehr erfrischend.

Auf dem Campingplatz in Lemmer stehen überwiegend deutsche Wohnmobile. Der Platz wird von einem äußerst sympathischen Pärchen geführt. Im Yachthafen liegen zumeist deutsche Schiffe. Lemmer ist ein lebendiger Ort mit vielen Restaurants und Cafés in holländischer Bauweise entlang der Grachten. Beim Echten Bakker bekommt man zu Kuchen und Cappuccino noch einen Eierlikör mit Sahne. Immer wieder wird man aufgehalten, weil die Brücken über die Grachten für die durchfahrenden Schiffe hochgezogen werden. Hier gibt es das größte jemals existierende und auch das letzte funktionsfähige, mit Dampf betriebene Pumpwerk, das Wouda-Stoomgemaal, das das überschüssige Wasser aus Friesland herauspumpt. Es schafft 6 Mio. m³ Wasser pro Tag. Die Pumpe wird noch in Betrieb genommen, wenn Not am Mann ist und einmal pro Woche für Besucher.

Der Himmel trübte sich ein. Abends fing es an zu regnen. Das setzte sich am nächsten Morgen fort. Der Himmel grau in grau.

Ich fuhr nach Amsterdam. Aber der Campingplatz war voll von zeltenden Jugendlichen. Rauchschwaden mit einem typischen Duft lagen in der Luft. Da habe ich die Jugendlichen unter sich und hinter mir gelassen. Das Wetter lud auch nicht zum Verweilen ein. Außerdem kannte ich Amsterdam schon. Also fuhr ich nach Hoek von Holland. Der Platz hat mir aber nicht zugesagt. Außerdem war es noch zu früh. In einer kleineren Ortschaft traf ich am Fischstand, wo ich eine Scholle aß, einen Holländer, der gut deutsch sprach. Er lebt in der Nähe von Hengelo und arbeitet in Deutschland. Sein Sohn hob zu eben jener Stunde vom Flugplatz in Brüssel Richtung Australien ab. Er will sich dort als Backpacker ein Vierteljahr durchschlagen.

Die Gegend wird dominiert von Gewächshäusern. Gewächshäuser, so weit das Auge reicht.

Ein Stückchen weiter stand ich schon wieder vor einem Fluss, der Scheur, Teil des Rhein-Maas-Deltas. Da die Fähre aber nicht in Sicht war, bin ich beigedreht und habe mir erst mal den Ort angeschaut: Maassluis. Hübsche Altstadt. Faszinierend sind ja immer wieder die Kanäle und Grachten, die sich durch die Ortschaften ziehen. Das gibt diesen holländischen Orten schon ein besonderes Flair. Trommel- und Blasmusik gab es obendrauf. Ich hatte wahnsinnigen Hunger. Nach einem Hamburger und einem schönen Stück Schwarzwälder Kirsch ging es mir wieder besser. Beim Bäcker bekommt man meistens keinen Kaffee. Und in der Cafeteria bekommt man zwar Kaffee, aber keinen Kuchen, dafür Snacks. Da sind die Holländer noch etwas eigen.

Es war das lange Wochenende mit Fronleichnam. Die Campingplätze waren belegt. Viele Deutsche nutzten die Gelegenheit zu einem Kurztrip nach Holland. Die Deutschen sind jetzt alle hier, sagte eine Rezeptionistin, die mir in Renesse beim Molecaten Park Wijde Blick noch einen Platz verschaffte für den stolzen Preis von 39,50 €. Dafür hatte der Platz ein Schwimmbad, das ich auch gleich benutzte. Da ich den Eingang nicht fand, bin ich nur mit Badehose und einem Handtuch bekleidet durchs Restaurant gegangen, wobei eine Serviererin eine anzügliche Bemerkung machte, die ich aber glücklicherweise nicht verstand.

Am nächsten Morgen lugte die Sonne schon ein klein wenig hinter den Wolken hervor. Ich wollte Wasser tanken und hatte mal wieder einen Blackout. Ich kam mit der richtigen Seite an die Wasserzapfsäule, war aber der festen Überzeugung, es wäre die verkehrte. Also wendete ich auf engstem Raum, um dann festzustellen, dass ich nun verkehrt stand. Da wollte auch schon der Nächste ran und noch einmal auf diesem engen Raum rangieren, wollte ich auch nicht mehr. Also fuhr ich ohne Wasser zu übernehmen weiter.

Holland hat ja schon ziemlich gute Preise. Das Benzin ist im Durchschnitt teurer als in Deutschland. Aber an das Preisniveau in Belgien reicht es nicht heran. Der Diesel war noch einmal 10 Cent teurer. Eine Lasagne in Gent kostete 12 €. Die Portion war klein und es war noch eine von den billigeren Speisen. Aber ich war froh, aus Holland heraus zu sein. Erst einmal fehlten mir die kleinen Cafés mit Kaffee und einer Leckerei. Zum anderen gab es gerade in der Gegend, durch die ich fuhr, sehr oft einspurige enge eingefasste Fahrbahnen, wo man sich wie eingesperrt vorkommt und sich ziemlich konzentrieren muss. Bevor ich Holland verließ, überquerte ich die Zeelandbrug (Seelandbrücke), mit 5 km die längste Brücke Hollands. Sie ist eine Mischform aus Balkenbrücke und Klappbrücke. Ein 40 m langes Teilstück kann hochgeklappt werden, um die Durchfahrt für größere Schiffe zu ermöglichen. Danach ging es 60 m in den Untergrund, in den 6,6 km langen, mautpflichtigen Westerscheldetunnel.

Mein nächstes Ziel war eigentlich Brügge in Belgien. Aber ein Abstecher nach Gent kann ja nicht schaden, dachte ich mir. Das war auch nicht verkehrt, denn die Innenstadt von Gent ist interessant und sehr sehenswert. Die riesigen Plätze mit den imposanten Gebäuden waren ziemlich belebt. Und ich hatte den Eindruck, dass da nicht nur Touristen unterwegs waren. Größere belgische und auch nordfranzösische Städte werden überragt vom sog. Belfried oder Belfort. Sie wurden von den Stadtbehörden oder den Zünften als Symbol der bürgerlichen Macht errichtet, ähnlich den Geschlechtertürmen in Regensburg oder der Toskana. Neben dem Belfried gibt es einen kleinen Anbau an der Tuchhalle mit einem Relief, in dem ein junges Mädchen einem älteren Herrn die Brust reicht. Nach der Mammelokker-Legende wurde ein Gefangener namens Cimon zum Tode durch Verhungern verurteilt, aber er weigerte sich zu sterben. Seine als Amme tätige Tochter Pero durfte ihn jeden Tag besuchen, allerdings ohne ihm Nahrung mitzubringen. Es gelang ihr allerdings, ihn heimlich an ihrer Brust zu säugen und so sein Überleben zu sichern. Da der Vater auch nach längerer Zeit nicht starb, ließ der Richter die Frau während ihrer Besuche durch die Gefängniswärter heimlich im Auge behalten. Als diese ihr Tun bemerkten, konfrontierte er die Frau mit ihren Taten, worauf die Frau ihm in der Genter Version entgegnete, dass sie dies im Vertrauen auf Gott getan habe. Der Richter fand dies so wohltätig und gut, dass er sich beiden gegenüber gnädig zeigte und ihren Vater freiließ. (Belfried (Gent) – Wikipedia)

Die Sint Niklaskeerk (Nikolauskirche) ist umfunktioniert in einen Basar, in dem Künstler ihre Werke feil bieten.

Danach ging es weiter nach Brügge. Auf dem Campingplatz Memling war Self-Check-In. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte ich es geschafft und konnte noch einem Norweger aus Hamar beim Check-In helfen. Der war aber auch schon 80 Jahre. Überhaupt hat die Anzahl der Selbstbedienungsautomaten stark zugenommen. Beim Kaffee in den Autobahntankstellen ist das schon gang und gäbe.

Abends habe ich dann im Lunch Garden (gehört wohl zur Supermarktkette Carrefour) in der Nähe des Campingplatzes ein Rumpsteak mit warmem Spinat und Blumenkohl und Kartoffelpürree für 11 € gegessen. Das Steak wurde frisch zubereitet. Der Koch half mir mit Rat und Tat in deutsch. Ich habe mich hinterher auch bei ihm für die gute und nette Bedienung bedankt. Danach war ich jedenfalls satt, was man nach der Lasagne in Gent nicht sagen konnte.

Abends noch mit einem Ehepaar aus Aachen gequatscht. Wir wohnten quasi Tür an Tür. Da musste man ja ins Gespräch kommen. Er fuhr eigentlich viel lieber in die Berge und machte fleißig Paddeltouren. Sie hatten ihr Wohnmobil erst vor 3 Jahren billig erstanden. Es wurde abends aber so kühl, so dass wir uns bald in unsere Gehäuse zurückzogen.

Der nächste Tag war wiederum grau in grau. So habe ich mich nach dem Frühstück auf die Koje gehauen und gelesen. Mittags gab es einen halben Hahn wiederum mit Pürree und warmem Gemüse im Lunch Garden, auch für 11 €. Es war so viel, dass ich gar nicht alles geschafft habe. Die Preise dort sind wenigstens noch reell, nicht wie im Zentrum von Brügge, wo die Touristen mächtig zur Kasse gebeten werden wie überall auf der Welt. Die Stadt erinnerte mich ein wenig an die alten Städte in der Toskana. Viele, viele alte Häuser, die den Touristen vorgeführt werden. Am späten Nachmittag verschwanden die Touristen und die großen Plätze leerten sich zusehends. Den Einheimischen ist die Innenstadt wahrscheinlich auch zu teuer.

Das Rathaus, der Provinciaal-Hof, die Sint Salvatorskathedraal sind natürlich imposante Gebäude. Auch hier ist eine Kirche umfunktioniert: Künstler haben in der Magdalenakerk eine experimentelle Begegnungsstätte geschaffen. Es werden nicht mehr irgendwelche Wahrheiten von der Kanzel verkündet, sondern man diskutiert. So ist es jedenfalls gedacht. Abends waren die Beine ziemlich schwer.

Am nächsten Morgen hat es besonders lange gedauert, bis ich in die Puschen kam. Das Ehepaar aus Aachen war schon längst unterwegs Richtung St. Malo, bis ich mich um 10.30 Uhr auch vom Platz machte. Es war immer noch grau in grau und 14 Grad. Wir drei wussten nicht, wo das Benzin billiger ist, in Belgien oder in Frankreich. Sie tippte auf Frankreich. Da ich aber an einer Selbstzahler-Tankstelle für 1,38 € der Liter Diesel vorbeikam, habe ich zugeschlagen. Das war genau richtig, denn in Frankreich war der Diesel noch teurer. Weit über 1,40 €, an der Autobahn sogar über 1,60 €.

Bei Boulogne bin ich runter von der Autobahn, um über die Dörfer zu fahren. Aber das wurde mir zu mühselig. Frankreich ist das Land der Kreisel, von denen man immer wieder ausgebremst wird. Einer folgt dem nächsten. Also wieder rauf auf die Maut-Autobahn. Bis auf den Campingplatz Quiberville hinter Dieppe habe ich es geschafft, direkt am Ärmelkanal. Zwischendurch wurde es ein bisschen heller und die Sonne gab immer wieder mal eine Gastvorstellung. Es wehte eine steife Brise und die See war rau.

Bei Dieppe gibt es einen großen Soldatenfriedhof. Am 19. August 1942 versuchten alliierte Truppen mit 6.086 Mann, darunter 4.965 aus Kanada, am Strand von Dieppe zu landen. Die Soldaten sollten nur mal kurz vorbeischauen und angeblich austesten, wie die deutschen Besatzer auf eine Invasion reagieren. Das Unternehmen Jubilee wurde maßgeblich von dem englischen Admiral Louis Mountbatten als Chef des Combines Operations Headquarters (COHQ) vorangetrieben. Das COHQ war das teilstreitkräfteübergreifende Hauptquartier der britischen Streitkräfte. Mountbatten war außerdem Lord und hatte beste Verbindungen zum britischen Königshaus. Er war der Onkel von Prinz Philip, dem Ehemann der britischen Königin Elisabeth II.

Wie sollten die deutschen Truppen auf diese Kleinstinvasion schon reagieren? Zurückgeschossen haben sie. Und sie waren aufgrund ihrer gut befestigten und ausgebauten Stellungen im Vorteil. Das Himmelfahrtskommando musste abgebrochen werden und endete mit hohen Verlusten: Am Ende lagen 1.380 Tote am Strand und im Wasser, 1.600 Soldaten waren verwundet und 2.190 kamen in Gefangenschaft. (Die Zahlen variieren etwas von Bericht zu Bericht)

Der Hintergrund war die Forderung der Sowjetunion an ihre westlichen Verbündeten, eine zweite Front im Westen aufzubauen, um die Front im Osten zu entlasten. Aber Großbritannien und die USA dachten gar nicht daran, das zu tun. Sie gingen von dem Kalkül aus, dass sich die Sowjetunion und Hitlerdeutschland gegenseitig ausbluten sollten, um dann als strahlende Sieger ganz Europa unter ihren Einfluss zu bekommen. Diese Aktion war also von vornherein als Misserfolg geplant, um zu beweisen, dass zu diesem Zeitpunkt eine Invasion und damit der Aufbau einer zweiten Front nicht möglich war. Dafür wurden Tausende Soldaten geopfert. Und die Kanadier wurden deshalb als Kanonenfutter eingesetzt, weil sie im COHQ nicht vertreten waren.

Warum aber folgen Soldaten immer wieder auf der ganzen Welt in blindem Gehorsam irgendwelchen Führern und Kommandeuren und opfern ihr Leben bei Aktionen, die sie nicht bestimmen und auch nicht wissen, worum es im Grunde geht?

Noch heute wird die Theorie vertreten, dass die Aktion notwendig gewesen sei, um aus den Fehlern für die im Juni 1944 stattgefundene große Invasion zu lernen. Das aber wird von dem belgischen Historiker Jacques R. Pauwels überzeugend widerlegt: Die zweite Front der westlichen Alliierten im Zweiten Weltkrieg: Warum wurden vor siebzig Jahren, am 19. August 1942, bei Dieppe so viele kanadische Soldaten geopfert? | Jacques Pauwels

Der Platz in Quiberville war nicht so einfach zu finden. Das einsame Hinweisschild übersieht man leicht. Deshalb bin ich erst mal ein Stück weiter gefahren. Aber es dämmerte mir bald, dass das nicht richtig sein kann. Ein Camper aus Aschaffenburg, dem das gleiche Schicksal passiert ist, hat bedeutend länger gebraucht, um das zu kapieren. Der Platz liegt gleich hinter dem Deich, ist auch nicht teuer, 14,55 € für mich und mein Wohnmobil. Das Klopapier muss man sich allerdings selber mitbringen. Auf beiden Seiten des Ortes sind Steilküsten. Die Häuser an den Hängen sind alles Ferienhäuser und werden nur in den Sommermonaten bewohnt. Manche sehen sehr hübsch aus, manche sind schon etwas heruntergekommen. Aber welche Verschwendung an Wohnraum!

Abends tummelten sich die Windsurfer in der Brandung, manche mit meterhohen Sprüngen. Der Wind schaukelte mein Wohnmobil und mich in den Schlaf.

Die nächste Station sollte Honfleur sein. Zuerst muss man bei Le Havre über die Wahnsinnsbrücke Pont de Normandie. Die Träger der Schrägseilbrücke haben eine Höhe von 203 m. Beim Überqueren der Brücke befindet man sich 50 m über dem Wasser. Wer nicht schwindelfrei ist, kann Probleme bekommen. Vor der Brücke habe ich mir noch Fécamp angeschaut mit einer monumentalen Kirche auf dem Hügel, die man schon von weitem sieht. Im Benediktinerkloster von Fécamp wurde im Jahre 1510 von einem italienischen Mönch der erste Kräuterlikör zusammen gemixt. Damals wurden auch exotische Gewürze aus allen Kontinenten verwendet: Zimt aus Sri Lanka, Safran aus Griechenland, Vanille aus Madagaskar, Muskat aus Indonesien, Kardamom aus Indien, Myrrhe aus Saudi Arabien, Koriander aus dem Mittelmeerraum, Moschuskörner aus der Karibik und Ysop aus Frankreich. In der bürgerlichen Französischen Revolution wurde die Abtei Fécamp geplündert und beinahe völlig zerstört. Teile der Klosterbibliothek sollen dabei in den Besitz von Prosper-Elie Covillard gelangt sein, dem Finanzvollstrecker der Region Fécamp. Im Jahr 1863 entdeckte ein Weinhändler, ein Monsieur Legrand – wohl ein Verwandter Covillards – in der Bibliothek seiner Familie ein altes, fast 200 handgeschriebene Seiten umfassendes Manuskript aus der Abtei, welches Studien über die Anwendung verschiedener Kräuter und Gewürze enthielt. Mit einem Apotheker zusammen entwickelte er daraus eine Rezeptur für einen Kräuterlikör, den er fortan als Bénédictine vermarktete. Der Weinhändler hieß mit Vornamen Alexandre. In einem Anfall von Größenwahn ließ er seinen Nachnamen in Le Grand umändern, so dass er jetzt Alexander der Große hieß. Dieser Monsieur Legrand ließ im Stil mehrerer Epochen, darunter der Gotik und der Renaissance, einen Palast bauen, in dem die Produktionsstätte des Likörs untergebracht wurde. Gleichzeitig beherbergte er die Wohnung der Familie Legrand, eine Bibliothek mit alten Schriften aus der Abtei und ein Museum. Heute gehört die Marke dem Spirituosenkonzern Bacardi.

In Honfleur war ich 1982 schon einmal. Mit meinem Freund Hartmut hatte ich eine Fahrradtour gemacht quer durch Frankreich, von Le Havre bis nach Bordeaux. 1.800 km waren es damals. Zu dieser Zeit lagen dort noch kleinere Boote und vermehrt Fischerboote. Heute ist es eine Touristenattraktion mit seinen hübschen Häuschen und dem kleinen Innenhafen, wo fast nur noch größere Boote und Yachten liegen. Sehenswert ist auch die Kirche Sainte Catherine, erbaut in der Mitte des 15. Jahrhunderts mit zwei Zwillingsschiffen und einer Dachkonstruktion gleich Schiffsrümpfen von Schiffszimmerleuten ganz aus Holz.

Und dann kam das Versteckspiel mit dem Navi. Honfleur war mir zu touristisch und der Campingplatz gefiel mir nicht von außen. Deshalb fuhr ich weiter. Zu dem nächsten Campingplatz, den ich eingegeben hatte, lotste mich das Navi durch schmale Wald- und Feldwege. Dann meinte es, wir wären da, aber es gab weit und breit keinen Campingplatz. Beim zweiten Campingplatz entwickelte sich dasselbe Spielchen. Ich gab etwas entnervt den dritten Platz ein. Genau dasselbe. Also fragte ich einen Spaziergänger mit Hund, wo hier der Campingplatz wäre. Er sprach englisch und meinte, hier gäbe es keinen. Aber wenn ich einen ruhigen Platz für die Nacht suchen würde, er böte mir sein Grundstück an, was ich natürlich freudig annahm. Es war ein riesengroßes Grundstück. Fred hatte sich zusammen mit seiner Frau Magali das Grundstück vor 20 Jahren gekauft. Damals war es noch ein Stall und es liefen Schafe herum. Der Stall ist jetzt ein schönes Wohnhaus. Der parkähnliche Garten ist auch sehr gut hergerichtet. Das Ehepaar lud mich sogar zum Abendessen mit ihren zwei reizenden Töchtern und der Freundin einer Tochter ein. Looping, der Dackel, hatte es in der Familie gut getroffen. Er wurde von allen Seiten gehätschelt und getätschelt.

Irgendwann fand ich heraus, woran es lag, dass das Navi mich so grandios an der Nase herumgeführt hat. Ich hatte den Greewich Meentime Meridian überschritten und musste dem Navi sagen, dass es jetzt im Westen und nicht im Osten zu suchen hat.

Am nächsten Morgen gab es ganz früh noch einen Kaffee bei meinen netten Gastgebern. Danach suchte ich mir auf einem Parkplatz beim Intermarché ein Plätzchen und frühstückte in Ruhe, kaufte ein und konnte für französische Verhältnisse für 1,44 € pro Liter spottbillig tanken. Andere haben 1,61 € bezahlt. 190 km waren es bis Mont St. Michel. Schon zur Mittagszeit war ich da und gestärkt mit einem Quiche Saumon (Lachsquiche) ging es auf die Insel. Vom Festland bis zur Insel führt ein Steg, der nur für den Busshuttle und Lieferverkehr befahrbar ist. In den Sommermonaten ist noch nicht einmal das Fahrradfahren erlaubt. Also dachte ich mir, laufen tut gut. 25 Minuten habe ich gebraucht. Bis 2006 gab es für die immer größere Schar von Touristen einen Parkplatz direkt vor der Felseninsel. Aber aufgrund der damit verbundenen Zerstörung der Natur wurde der Parkplatz 2,5 km ins Landesinnere verlegt und das Gebiet renaturiert.

Der Mont St. Michel ist eine ehemalige Abtei und liegt hoch oben auf einer Felseninsel. Es ist ein Monument mittelalterlicher Baukunst. Die Säulen, tief in den Felsen hineingerammt, gehen über 3 Stockwerke. Der erste Stock war für die armen Pilger, also das gemeine Volk gedacht. Im zweiten Stock tummelten sich die Wohlhabenden und der dritte Stock war dem Klerus vorbehalten, der sich über alle Anderen erhaben fühlte. Von der Abtei sind noch die leeren Gewölbe, der Kreuzgang und die vielen verwinkelten Treppen zu besichtigen. Die Versorgung wurde über ein Riesenrad, das die Menschen selbst betätigen mussten, indem sie in die Stufen des Rades traten, und eine schiefe Ebene gewährleistet.

Die ersten Kanoniker wurden durch den Normannenherzog Richard I. wegen Unsittlichkeit, Völlerei und Gottlosigkeit verjagt und durch Benediktinermönche ersetzt.

Nach der bürgerlichen französischen Revolution wurden die Mönche verjagt und der Mont St. Michel wurde zum Gefängnis für schätzungsweise 15.000 bis 18.000 Menschen, meist aus dem Klerus.

In den engen Gassen des unteren Teils kann man teuer essen und trinken und die unvermeidlichen Souvenirs einkaufen. Der Besuch der Museen lohnt sich nach Aussagen einiger Besucher nicht.

Wie viele dieser mittelalterlichen Bauwerke hat auch der Mont St. Michel seine Legende: Dabei soll der Erzengel Michael seine Finger, bzw. seinen Finger im Spiel gehabt haben. Er soll im Jahre 708 dem Bischof Aubert von Avranches erschienen sein und ihm dem Auftrag zum Bau einer Kirche auf der Insel erteilt haben. Als der nicht so richtig spuren wollte, hat Michael ihm ganz eindringlich einen Finger auf die Stirn gelegt und dabei ein Loch in den Schädel gebrannt. Bei Bauarbeiten auf der Insel wurde nämlich ein Schädel mit Loch gefunden, flugs zum Schädel des Bischofs erklärt und eine Geschichte darum herum gesponnen. Der Schädel wird heute als Reliquie in Avranches ausgestellt. Auch hier hat sich die Kirche mal wieder als guter Märchenerzähler erwiesen.

Zwischendurch schien sogar die Sonne und es wurde schwül warm. Treppensteigen ist eine schweißtreibende Tätigkeit, die sich auf den Hemden der Menschen abzeichnete. Jedenfalls war ich am Ende ganz schön geschlaucht und wollte eigentlich mit dem Bus zurückfahren, weil es auch zu nieseln anfing. Aber es hatte sich solch ein Haufen von Menschen an der Bushaltestelle angesammelt, dass ich auch wieder zurück gelaufen bin. Ich möchte ja nicht wissen, wie das in der Feriensaison dort aussieht. Da muss es vor Menschen ja nur so wimmeln, die auf den engen Treppen nur langsam vorwärts kommen. Und dazwischen auch noch die Fußkranken.

Auf dem nur 3 km von Mont St. Michel entfernten Campingplatz in Ardevon, der bedeutend billiger ist, als der in der Nähe der Felseninsel, stellte ich mich zwischen ein Herforder Ehepaar und ein Pärchen aus Brandenburg. Die Herforderin war erfrischend und inspirierend. Mit ihrem Mann führte ich ein längeres Gespräch.

Am nächsten Tag wollte ich mir die alte Seeräuberstadt St. Malo anschauen. Im schönsten Sonnenschein fuhr ich los. Das hielt auch bis kurz vor der Stadt. Dann wurde es zusehends nebliger. Die ummauerte Innenstadt war in Nebel eingehüllt und es wurde empfindlich kalt. Also habe ich den Besuch auf das nächste Mal verschoben und fuhr wieder zurück nach Honfleur. Und zwar auf den Campingplatz, der mir beim ersten Mal von außen nicht gefallen hat. Aber er entpuppte sich doch als guter Platz, sogar mit einem Swimmingpool, allerdings mit extra warmem Wasser. Das kleine üppige Mädchen an der Rezeption mit großem Busen, den sie auch ganz offenherzig zeigte, konnte aber nicht einmal 2 Zahlen ohne Taschenrechner zusammenzählen. Als ich das Rückgeld schon längst im Kopf ausgerechnet hatte, war sie immer noch mit ihrem Rechner zugange.

Gegenüber stand ein älteres Ehepaar aus Augsburg. Ich hatte mich mit ihm schon im Swimmingpool unterhalten. Abends fragte er mich, ob ich nicht ein Buch für ihn hätte. Der Urlaub ohne Buch wäre nur halb so schön. Und so konnte ich den historischen Roman aus dem alten Ägypten, den ich aus der Bücherzelle von Lübeck mitgenommen hatte, weiter geben. Der Urlaub des guten Mannes war gerettet.

Am nächsten Morgen zeigte sich das Wetter wieder von seiner schlechten Seite. Es war diesig und es nieselte sogar ein bisschen. Der Blick ins Internet versprach keine Besserung. Also entschloss ich mich, gleich weiterzufahren. Da passierten einige Sachen, die mir so richtig die Lust an der Weiterfahrt nahmen. Das Navi führte mich durch Honfleur. Die Straßen waren eng, aber gerade mal so passierbar. Es hätte ja auch gut gehen können, aber die Innenstadt war abgesperrt. Es war Markttag. Und dann wurde es richtig eng. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, dass ich da heil wieder rauskomme. Letztendlich hat es auch ohne Schrammen geklappt.

Danach fuhr ich wieder über diese Wahnsinnsbrücke Pont de Normandie, dieses Mal mit schussbereiter Kamera. Ein paar Kilometer weiter kam ich an der Abzweigung nach Etretat vorbei. Da gibt es Kreidefelsen. Also runter von der Autobahn. Aber 21 km Entfernung und der Nebel nahmen mir doch die Lust. Wieder rauf auf die Autobahn. Irgendwann bemerkte ich, dass ich in die falsche Richtung fuhr. Wenn mich die riesige geschwungene Brücke auch fasziniert, aber sie kostet jedes Mal 6,30 €. Also bei Le Havre kehrt gemacht. Bei Neufchatel-en-Bray wieder runter. Ich brauchte Geld, musste tanken, einkaufen und hatte Hunger. Der erste Supermarkt (Aldi) war meiner. Die Zwischenräume bei der Tankstelle der Kette Leclerc waren so klein, dass 2 Autos gerade hineinpassten, aber aussteigen konnte man dann nicht mehr. Ich habe mich waghalsig hinein manövriert. Es war Selbstzahlung angesagt. Nur akzeptierte Leclerc meine Karte nicht. Rein zum nächsten Italiener. Es war 14.30 Uhr und das Restaurant schloss gerade. Aber Spaghetti Salmone hat mir der Koch doch noch zum Mitnehmen gemacht. Die Bedienung hinter der Theke war so freundlich, mir noch eine andere Tankstelle zu beschreiben. Die war absolut heruntergekommen, aber mit Kassierer, der es auch geschafft hat, meine Karte zur Zahlung zu bringen. Der Diesel muss aber schlecht gewesen sein, denn ich habe damit bei 110 kmh genauso viel verbraucht wie mit gutem Diesel bei 120 kmh.

Ein Stückchen weiter fand ich gleich unterhalb einer Kirche eine idyllische Raststätte mit Holztisch und -bank. Ich packte wohlgemut meine Spaghettis aus und der Tag wollte mir fast wieder gefallen, da setzte ich mich prompt auf eine verharzte Stelle auf der Bank. Meine Lieblingshose war nicht mehr zu gebrauchen. Der Harz suchte sich seinen Weg bis auf die Haut, so dass auch die nächste Hose festklebte, diesmal an der Haut. Ich hatte bis dahin noch mit dem Gedanken gespielt, meine Nichte in der Nähe von Paris anzurufen, ob ich sie besuchen könnte. Aber dazu war mir jetzt die Lust vergangen. Also bin ich bis zum Campingplatz Sarl Le Mont des Bruyères in der Nähe von Saint Amand les Eaux gefahren kurz vor der belgischen Grenze. Ich musste ja noch Postkarten schreiben und mit den schon gekauften französischen Briefmarken in den Briefkasten werfen. Der Platz liegt mitten im Wald. Abends nahmen mich die Mücken gründlich zur Brust und es gab noch eine Feier mit lauter Tanzmusik. Leider geschlossene Gesellschaft. Und so musste ich mit Ohrstöpseln ins Bett.

Am nächsten Tag, es war Sonntag, habe ich die Camping-Wirtin, die wahrscheinlich bis spät in den frühen Morgen für die Feier gearbeitet hat, kurz nach 10 Uhr rausgeklingelt, um ihr die Postkarten in die Hand zu drücken. Es tat mir ja leid, aber sie hatte es mir angeboten.

Der nächste Stopp war der Campingplatz Hohensyburg. Die fröhliche sympathische Frau an der Rezeption benutzte mich als Versuchskaninchen, weil sie Ärger mit ihrem elektronischen System hatte. Letztendlich erkannte das System doch mein Kennzeichen, so dass sich die Schranke für mich öffnete. Es ist ein schöner Platz unterhalb der Burg, mit einem großen Büchertauschangebot. Ein Stück Weg abwärts liegt ein kleines Restaurant am Wasser, in dem es leckere Forelle gab. Und es schien auch schon wieder die Sonne.

Nach nur einem Stau von 5 km Länge kam ich wieder wohlbehalten nach Berlin. Auf der Gegenfahrbahn sah es dafür ganz anders aus. Westwärts aus Berlin heraus standen Tausende blinkender Autoleiber im Dauer- und Superstau. Und ein kleines Willkommensgeschenk über 25 € bekam ich auch noch. Ich stellte mich auf einen Platz ohne Verbotsschild. Nach Meinung der Polizei hätte ich mich aber dort des Tatbestandes der Behinderung schuldig gemacht.

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