2014 Fahrradtour von Berlin nach Ückermünde an die Ostsee

Tja, alles nicht so einfach mit diesen elektronischen Geräten. Es ist 19.27 Uhr und ich habe es endlich geschafft, Microsoft Word aufzurufen, damit ich den Bericht schreiben kann. Mann, Mann, Mann! Gestern hatte ich das kleine Notebook gekauft und heute morgen eingerichtet. Deshalb konnte ich erst um 10.30 Uhr losfahren. Es ging mal wieder an der Panke entlang, wie schon so oft in der letzten Zeit. Dieses Mal waren aber noch eine ganze Menge Hunde unterwegs, die besonders im Wedding Gassi geführt wurden. Es ist doch schon sehr verwunderlich, wie die Natur sich noch so üppig entfalten kann bei so vielen Hunden. In Berlin war es noch ziemlich bewölkt, doch je weiter ich mich von Berlin entfernte, rissen die Wolken auf, verwandelten sich in Schleierwolken und ließen immer mehr die Sonne zum Vorschein kommen. Es wurde ein hervorragender Tag zum Fahrradfahren. Kurz vor Bernau riss ich mir die lange Hose und alles, was darunter war, vom Leib und zog mir die kurze Hose an. Das erste Mal in diesem Jahr mit kurzer Hose. Die käsigen Beine waren schon weitem zu sehen. Bis Bernau kannte ich ja schon alles. Hinter Bernau ging es in das wunderschöne Lobetal. Bis Biesenthal habe ich es geschafft, denn nach 50 km hatte ich keine Lust mehr, weiterzufahren. Gott sei Dank gibt es in diesem Ort eine Pension, aber nur eine. Ist zwar schon etwas heruntergekommen, aber Hauptsache, ein Dach über dem Kopf. 25 € für eine kleine Kemenate ohne Frühstück, aber mit Familienanschluss. Denn genau vor meinem Fenster, das zum Innenhof führte, hatten sich Familie Wirt einen Tisch hin gestellt, an dem geraucht und die Telefonate geführt wurden. So bekam ich haarklein mit, was Tante Berta gesagt hatte und dass die wirtseigene weiße Katze so schlecht sauber zu kriegen ist.

Im Restaurant am Strandband Wukesee wollte ich meine Abendmahlzeit einnehmen, aber dort war die Gesellschaft geschlossen, bzw. es gab eine solche. Also auf zum Griechen und in der Abendsonne eine schöne Moussaka inklusive 2 Ouzaki zu mir genommen. Mit dem Bier zusammen überkam meine Beine eine wohlige Müdigkeit. Leider wurde bei dem Griechen nicht das DFB-Pokalfinale übertragen. Das musste ich mir dann in meinem Zimmer anschauen. Einen Fernseher gab es wenigstens. Arme Dortmunder.

Sonntag, den 18.05.14

In der Nacht fing es an zu regnen und es regnete durch mit kurzen Unterbrechungen. Genau um 4.44 Uhr war für mich die Nacht zu Ende und ich lauschte ganz gebannt dem Geräusch des fallenden Regens, der auf das Plastikdach vor meinem Fenster fiel. Der Regen hörte natürlich am Morgen nicht auf. Der Wirt hatte ein Erbarmen und bereitete mit doch noch ein ganz passables Frühstück mit viel Rührei für ’nen Fünfer. Danach wollte ich nicht lange säumen, zog mir guten Mutes meine Regenjacke und die Regenhose an und dachte mir in meinem Sinn, dass die den Regen nicht so nah an mich herankommen lassen würden. Pustekuchen. Die Hose hielt dicht, aber nicht die Jacke. Die war wohl schon zu oft gewaschen worden. Zuerst folgte ich den Radweghinweisschildern. Die führten mich in den Wald auf eine völlig miserable Strecke. Dazu kamen die Pfützen. Nach 500 m kehrte ich um und fuhr auf der Landstraße weiter. Bis Eberswalde waren es ca. 30 km. Als ich mich dort in ein Café setzte und die Jacke auszog, bemerkte ich meinen Irrtum in Bezug auf die Dichtigkeit der Jacke. Das Shirt darunter war ziemlich feucht. Und die Socken waren nass. Unterwegs wechselte ich dieselben. Aber auch die anderen Socken waren feucht, denn die Fahrradtasche, in der ich sie aufbewahrte, war genauso durchlässig wie meine Jacke. So wechselte ich alle Socken durch, die ich mitgenommen hatte, 4 Paar insgesamt. Aber die ganze Zeit nasse Füße. Das kommt nicht gut.

Bis Angermünde waren es noch ca. 30 km. Aber dort wollte ich unbedingt hin. Denn nur dort war es gewährleistet, dass ich mit meinem neuen Notebook ins Internet kommen würde. Das Angebot des Schreibtisches meiner Schwester bei ebay endete am Sonntagabend. Hätte ja sein können, dass noch irgendwelche Anfragen gestellt worden waren. Außerdem sollte Angermünde ja auch ein nettes Städtchen sein. Stimmt ja auch irgendwie. Klein und fein. Also fuhr ich nur noch Landstraße, um keine Umwege in Kauf zu nehmen und so schnell wie möglich dorthin zu kommen. Auf halber Strecke liegt das Kloster Chorin und lädt zu einem Besuch ein. Diese Einladung habe ich aber abgeschlagen. Ich wollte weiter. Also riss ich die 30 km nach Angermünde mit nassen Schuhen, Socken und Füßen so schnell wie möglich runter. In Angermünde fragte ich mich nach einer netten Pension durch. Es war nicht so schwer, eine zu finden. Angermünde ist nicht groß und es gibt auch nicht besonders viele Pensionen. In der Pension Köhler gab es sogar die Möglichkeit, ins Internet zu kommen. Hosianna! Also erst mal die nassen Klamotten vom Leib, die Taschen ausgepackt, die feuchten Sachen auf den 2 Betten ausgebreitet, das Notebook angeschmissen und … probiert und probiert. Wie kommt man in ein anderes WLAN rein? Hatte ich vorher noch nie gemacht und mit dem Notebook schon gar nicht. Irgendwann las ich dann in der Bedienungsanleitung, wie es gemacht wird. Und es klappte auch. Der Schreibtisch war natürlich nicht verkauft und es lag auch keine Anfrage vor. Die ganze Aufregung umsonst. Tja, so ist das Leben.

Nach dem Duschen ging es dann raus, Angermünde erkunden. Der Himmel war noch immer verhangen und ab und zu fielen auch einige Regentropfen. Selten kam mal die Sonne durch. Der Magen hing in den Kniekehlen und fing an zu knurren. Also rein ins Café und ein schönes Schweinesteak mit Spiegelei und Bratkartoffeln gegessen. Eier hatte ich an diesem Tag mehr als genug. Die Socken waren auch schon wieder von den Schuhen her durchgefeuchtet. Zurück in der Pension wurde erst mal gerubbelt, die Füße. Und Handtücher um dieselben geschlungen, Zehen bewegt. Wenn das mal gut geht. Ich bin auf morgen gespannt.

Montag, den 19.05.14

Es hätte schlimmer kommen können. Der Hals fühlt sich zwar rau an, es hält sich aber in Grenzen. Ich habe den Schlaf des Erschöpften geschlafen, bis kurz vor 8 Uhr. Als ich noch völlig schlaftrunken zum Frühstückstisch kam, saß da schon ein jüngerer, etwas schüchterner Mann aus St. Augustin. Das liegt auf der Strecke zwischen Bonn und Siegburg. Hans und ich müssen dort auf unserer Lahn-Tour mit dem Zug vorbeigekommen sein. Der junge Mann war für 2 Wochen zum Wandern in der Gegend. In der Pension bei dem hervorragenden Frühstück (dem besten Frühstück auf der Tour) kann man es auch länger aushalten. Und das alles für 40 €. Mit guter Marschverpflegung ausgestattet, ging es dann los in Richtung Prenzlau.

Am Mündesee versuchte jemand, sein Miniatur-Kriegsschiff fahren zu lassen. Es war schon ein etwas größeres Kaliber. Hatte aber einen Wassereinbruch. Muss wohl von einem Torpedo getroffen worden sein. Diese Etappe fiel mir sehr schwer. Der vorige Tag hatte mich doch ziemlich geschafft. Obwohl es durch eine wunderschöne Landschaft ging, das Biosphärenreservat Schorfheide Chorin. Es wird durch den NABU betreut. Der Himmel war immer noch bewölkt und ab und zu begleitete mich auch noch ein wenig Nieselregen.

Die Infrastruktur für Fahrradfahrer auf diesem Berlin-Usedom-Radweg ist noch nicht so gut. Mein Wasser ging zur Neige. Ich musste einige Kilometer strampeln, bevor es so etwas wie eine Aussicht gab, an Wasser heranzukommen. So habe ich einfach eine Frau gefragt, die mir aus dem Wasserhahn meine Wasserflasche gefüllt hat.

Am Uckersee angekommen, versuchte ich längere Zeit, ein Plätzchen am See zu finden, wo ich meine Marschverpflegung aufessen konnte. In den Ortschaften waren die Privatgrundstücke bis zum Wasser gebaut. O Segen des Kapitalismus. In Seehausen fand ich eine Bank am Ende eines Bootssteges. Natürlich stand davor ein Schild: Kein Rastplatz. Es hat mich aber nicht gestört, das Schild hat sich auch nicht gestört gefühlt. Nach der Stärkung habe ich dann wieder die Landstraße unter die Beine genommen, der Radweg sah mir zu suspekt aus. Und so kam ich an einem Mini-Supermarkt vorbei, der Brot und Kuchen selber backt. Der Kaffee wurde aufgebrüht. Und ich verschlang noch einen Rhabarberkuchen und einen Bienenstich. Man konnte sogar vor diesem Mini-Geschäft sitzen, vor sich grünen Rasen mit hübschen Sträuchern und Bäumchen. Da streckte ich zufrieden alle Viere von mir,

Prenzlau war nur noch 8 km entfernt. Und ich war früh dran, die Touristeninformation musste also noch geöffnet haben. So war es auch. Ich gedachte eigentlich, in Prenzlau einen Tag Rast einzulegen, um den müden Knochen Gelegenheit zum Ausruhen zu geben. Aber man wollte mich nicht so lange dort. Pensionen in der Nähe der Altstadt gibt es nicht wie Sand am Meer. Die eine war belegt und die andere hatte das Zimmer nur eine Nacht frei. Nachdem ich mir Prenzlau näher angeschaut hatte, war ich auch ganz zufrieden damit. Ist zwar ganz nett, aber so viel hat es nun auch nicht zu bieten. Das Wahrzeichen der Stadt ist die St.-Marien-Kirche. Sie fällt auf durch das Fehlen von Prunk. Ist ja auch evangelisch. Sie beeindruckt vor allen Dingen durch ihre Höhe, durch die nicht enden wollenden Säulen im Inneren der Kirche. 234 unregelmäßige, manchmal ziemlich hohe und manchmal sehr enge, sich hinaufwindende Stufen mit wenig Trittfläche führen bis zur Türmerstube. Muss der damals eine Kondition gehabt haben! Ich war völlig fertig nach dem Aufstieg. Mir zitterten die Knie und ich hatte Schwierigkeiten, gerade aus zu laufen. Danach war ich durstig und hungrig. Weil montags einige Restaurants geschlossen hatten, stand weit und breit nur ein Chinese zur Verfügung. Die haben immer geöffnet. Ich hatte auch lange schon keine knusprige Ente mehr gegessen. Ente Hongkong mit einer leckeren Sauce. Ich war pappendickesatt.

Gegen Abend kam die Sonne hervor und tauchte die Enden des Schilfs in ein güldenes Licht. Auf dem Uckersee plagten sich zwei Drachenboote durch das Wasser. Auch das Gelände der ehemaligen Bundesgartenschau taugte noch für ein paar hübsche Fotos.

64 km standen zum Schluss auf dem Tacho.

Dienstag, den 20.05.2014

Obwohl die Pension 45 € gekostet hat, war das Frühstück 08/15. Dafür hat mir der Wirt die Zeit vertrieben. Er war sehr gesprächig. Er hat mir auch erzählt, dass die Brandschatzung der Marien-Kirche 1945 von den Nazis und nicht von den Russen vorgenommen wurde, wie man hätte vielleicht annehmen können. Das Info-Blatt der Kirche hüllte sich in der Beziehung interessanterweise in Stillschweigen.

Endlich zeigte sich die Sonne. Es wurde warm und wärmer. Kurz nach Prenzlau holte mich schweißüberströmt ein junges Pärchen ein. Sie hatte wenig Luft auf dem Reifen und brauchten unbedingt eine Luftpumpe. Ihre Pumpe war zerbrochen. Es ist mir schleierhaft, wie so etwas geht aber ich muss mir zugutehalten, dass ich die Situation nicht ausnutzte. Der Reifen sah nicht so aus, als ob er lange durchhalten würde.

Je länger ich fuhr, umso schwerer wurden mir die Beine. Die Turmbesteigung hatte ziemlich starke Nachwirkungen. Eine lange Strecke würde ich nicht packen. Mit Ach und Krach schaffte ich 37 km bis nach Pasewalk. In Nechlin beschrieb mir ein sechzigjähriger Einwohner einen schönen Radweg nach Pasewalk. Er duzte mich gleich. Als er merkte, dass ich Wessi bin, ging er kurz zum Sie über. Die ersten Kilometer seines Tipps ließen sich ja auch gut fahren. Aber dann wurde aus dem gut geteerten Weg ein sandiger Feldweg, vom Regen noch feucht und voller Pfützen. Horrible! Und das mit meinen Beinen. In Pasewalk war das beste Café gerade gut genug. Brötchen mit Ei, Apfelschorle, Capuccino und Heidelbeertorte wurde alles durcheinander eingefahren. Hier traf ich eine ältere Frau, die schon einen bewegten Lebenslauf hinter sich hatte. Sie war ehemals Lehrerin in der DDR. Sie zog in jungen Jahren von Greifswald ins Ruhrgebiet, von dort nach Posen, dann weiter nach Potsdam und von dort nach Pasewalk. Sie hatte mit ihrem Mann damals etliche Reisen in die Sowjetunion gemacht. Sie hätte alle Republiken der UdSSR besucht. Nicht schlecht. Pasewalk lud nicht gerade zum Verweilen ein. Und so machte ich mich auf den Weg zu dem 18 km entfernten Torgelow .

Auf dem Weg dorthin kam ich an mehreren Kasernen vorbei. Die Straßen an diesen Kasernen waren voll gepflastert mit NPD-Plakaten: Asylantenstadt Pasewalk bzw. Torgelow! Nicht mit uns! Oder: Pommern ist deutsch! In Panketal hatte ich sogar ein NPD-Plakat gesehen, worauf stand: Gas geben! Zwei Soldaten, denen ich die Frage stellte, warum hier so viel NPD-Plakate hängen würden, gaben zur Antwort: Keine Ahnung.

Torgelow war die viel bessere Wahl. Es liegt direkt an der Ücker mit viel Grün, einer kleinen Insel in der Ücker mit blühenden Büschen. Gut geeignet für einen Nachmittag und eine Nacht. Die Touristeninformation war nicht so komfortabel wie anderswo. Sie überreichte zwar eine Liste mit Pensionen, aber anrufen musste man selber. Im Goldenen Adler fand ich Unterkunft für 37 €. Abends gab es Zander am Ufer der Ücker. Die Lage war gut, das Essen so lala, dafür teuer.

Trotz der schweren Beine sind es doch noch 64 km geworden. Man kommt auch voran, wenn man ohne große Anstrengung vor sich hin strampelt.

Mittwoch, den 21.05.2014

Das Frühstück an diesem Morgen war zwar nicht schlecht, aber auch nicht überragend. Ich war der einzige Gast um 8 Uhr morgens. Der Wirt war ein junger Alleinkämpfer, der sich redlich abmühte. Aber er hat wahrscheinlich keine Verbindungen zum Tourismusbüro. Deshalb war in seiner Pension so gähnende Leere. Am Morgen war es schon heiß und es wurde heißer und heißer und die Beine wurden schwerer und schwerer. Bis zur Ostsee wollte ich es aber schaffen. Einmal in der Ostsee baden. Das Vorhaben in die Tat umzusetzen, war aber nicht so schwer, weil es nur noch 20 km bis Ueckermünde waren. Unterwegs stachen wieder die vielen NPD-Plakate ins Auge. Und sie scheinen mit ihren platten Parolen auch wirklich Erfolg zu haben. Nachmittags unterhielt ich mich beim Seemannsfrühstück (Krabben mit Lachs und Ei) mit einem Messebauer, der weit in der Welt herumgekommen war. Er hatte schon viele andere Kulturen kennen gelernt und war daran auch nicht uninteressiert. Aber trotzdem vertrat er dieselben Ansichten über Asylanten und über Deutschland als Zahlmeister für die Welt. Und das auch nicht unintelligent. Um da zu überzeugen, muss man seine Ansichten schon kurz und knackig auf den Punkt und vor allen Dingen Fakten bringen, was mir nicht gut gelang.

Die Pension, die mir die Tourismusinformation vermittelte, lag etwas außerhalb von Ueckermünde, aber direkt an der Straße. Die ist zwar nicht stark befahren, aber dafür hört man jedes einzelne Auto und besonders die Motorradfahrer. Die nerven in dieser Stadt sowieso. Mit dröhnenden Motoren röhrten sie um den Marktplatz herum, an dem ich abends einen Salatteller essen war. Außerdem beschallte dieses Restaurant seinen Außenbereich mit bescheuerter Musik aus dem Internetradio. Das war das nächste, was genervt hat. Ich wäre bis jetzt der einzige, der sich beschwert hätte, sagte die Bedienung. In der Pension traf ich dann drei ältere Leute, die die Musik auch gestört hat, aber nichts gesagt haben. Ja, ja, die Zivilcourage.

Baden war ich natürlich auch. Die Temperatur hielt sich in Grenzen, aber man konnte es aushalten.

Ueckermünde hat ja eine ziemlich abwechslungsreiche Geschichte. Ursprünglich vom slawischen Volksstamm der Uchri oder Ukrer besiedelt, wurde es 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg den Schweden zugesprochen, die die Gegend mit Finnen und Livländern besiedelten. Dann übernahm Preußen Anfang des 18. Jhdt. gegen eine Zahlung von vierhunderttausend Talern die vorläufige Verwaltung des Gebiets. 1761 eroberte wiederum die schwedische Armee die Stadt und 1806 wurde Ueckermünde von französischen Truppen besetzt. Nach Napoleons Niederlage wurde es wieder preußisch.

Donnerstag, den 22.05.2014

Mein letzter Tag. Eigentlich war ich ja am Tag davor gewillt, abzureisen, wegen des Lärms von der Straße. Aber mit Ohropax war die Nacht dann doch zu ertragen, und so langsam hatte ich mich daran gewöhnt. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Ich blieb und machte mir einen angenehmen Tag. Es war auch ein schöner Tag. Es war zwar wieder ziemlich heiß, aber es wehte eine frische Brise. Also fuhr ich zum Strand und schaute den Segelschiffen und Motorbooten bei der Ein- und Ausfahrt zu. Als mir das zu langweilig wurde, las ich weiter in der „Kleinen Geschichte der Sowjetunion“. Sehr interessant und aufschlussreich. Ich hatte die Sowjetunion ja immer verteidigt, zuerst die Stalin-Ära auch. Und danach wenigstens Lenin. Aber dass auch zu Lebzeiten Lenins große Fehler gemacht wurden, das lag ziemlich fern von mir. Anfang der 20er Jahre (also noch zu Lebzeiten Lenins) wurden Unabhängigkeitsbestrebungen in Weißrussland, der Ukraine, im Kaukasusgebiet und in Mittelasien mit Hilfe der sowjetischen Armee ein Ende bereitet. Auch die Bolschewiki wollten das zusammengeraffte Zarenreich in alter Größe beibehalten. Besagtes Buch ist von dem Geschichtsprofessor Helmut Altrichter geschrieben. Er hat versucht, die Geschehnisse in den geschichtlichen Zusammenhang zu stellen und zu begreifen. Die Ereignisse damals kann man auch nur so verstehen. Der Herr Professor hat das gar nicht so schlecht gemacht. Zwischendurch habe ich immer wieder etwas gegessen, erst ein Fischbrötchen mit Makrele. Dann ging es zum Karten schreiben ins Zentrum, wobei ein Cappuccino und eine Mohn-Käse-Torte dran glauben musste. Zurück am Strand wurde weiter gelesen und es gab noch einen Thunfischsalat. Abends in der Tapas-Bar vertilgte ich in Schinken eingerollte Backpflaumen und Cordero (Lamm) mit Paprika. Hat sehr gut geschmeckt.

Freitag, den 23.05.2014

Ückermünde ist Endbahnhof. Es gibt weder Häuschen noch Fahrkartenschalter, nur einen überdachten Unterstand. Die Verbindung mit der großen weiten Welt ist etwas eingeschränkt. Immerhin fährt jede zweite Stunde ein Zug nach Berlin mit einmal Umsteigen in Pasewalk. Als ich ankam, wartete schon eine ganze Schar von halbwüchsigen Mädchen und Knaben, wahrscheinlich eine Schulklasse auf Ausflug. Die Bahn hatte mal wieder Verspätung. Eine halbe Stunde. Und noch ein seltsamer Vogel wartete auf den Zug: In schwarzer Sonntagshose, feinem Hemd, schwarzer Weste mit vielen Taschen, stand er da – neben seinem Fahrrad mit Gepäcktaschen, sozusagen ein Radler mit Anstand. Wie sich herausstellte kam er aus Groß-Düngen, also nicht weit von meinem Heimatort Hildesheim. Und er ist nicht von dort bis an die Ostsee geradelt, nein, der feine Herr ist mit dem Zug gefahren. Aber wiederum nicht über Berlin, was das Naheliegendste wäre, nein, über Halle, weil ihm Berlin zu groß war. Er hätte sich ja im Berliner Hauptbahnhof verirren können. Er wollte nach Usedom. Das ist von Ückermünde nur noch ein Katzensprung. Eigentlich wollte er mit der Fähre rüber. Aber die Fähre fuhr nicht wegen Niedrigwasser. Also stieg er auf die Bahn um. Auf den Gedanken, die paar Kilometer zu radeln, kam er offensichtlich nicht. Da der Zug sich aber verspätet hatte, waren seine Anschlusszüge weg und so führte er lange Verhandlungen mit der Schaffnerin, wie er nun am besten zu seinem Bestimmungsort kommen könnte. Er musste mindestens zweimal umsteigen, um die paar Kilometer bis Usedom zurückzulegen.

Den nächsten seltsamen Vogel gab es im Zug. Ein Mann hatte sein Ticket über Handy gekauft, angeblich. Die Schaffnerin meinte, dass das für diesen Zug nicht geht. Es war ein Regional-Express. Doch der Mann behauptete steif und fest, dass er das schon einmal im Regionalzug gemacht und dass das geklappt hätte. So stand Aussage gegen Aussage. Die Schaffnerin holte sich eine andere zur Verstärkung. Half alles nichts. Der Mann blieb bei seiner Meinung. Als die Schaffnerin Konsequenzen androhte, wurde er etwas ruhiger und auf seiner Stirn fingen Schweißtropfen an zu perlen. Es war ja auch ein warmer Tag. Geld hatte er keins mit. Und so versuchte er, über Handy, eine Frau mit Geld zum Zielbahnhof zu dirigieren. Ob das geklappt hat, habe ich nicht mehr mitbekommen. Der Zug füllte sich recht gut. Und so kamen zu der äußeren Wärme auch noch die Ausdünstungen der Menschen dazu, mit einem Wort, es wurde recht mollig. Bin aber unbeschadet in Berlin angekommen.

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